Nachtkrieger
anders aus.
»Einen Moment, Reeve!«
Wat blieb stehen und sagte, ohne sich umzudrehen: »Ja, My Lady«?
Prüfend sah Alaida ihn an. »Was ist los, Wat?«
»Nichtf, M’Lady.«
»Dann dreht Euch um und seht mich an, wenn Ihr mit mir sprecht.«
»My Lady, ich …«, begann er und hielt den Kopf noch immer gesenkt.
»Seht mich an!«, befahl Alaida.
Zögernd drehte Wat sich um und hob den Kopf. Die Kapuze rutschte nach hinten, und Alaida schnappte nach Luft. Die linke Gesichtshälfte sah aus, als gehöre sie gar nicht zu ihm, sondern zu einem größeren Mann, so stark war sie geschwollen, und ein dunkler, hässlicher Bluterguss erstreckte sich vom Kinn bis hinauf zur Wange.
»Wer war das?«, fragte Alaida.
»Ich, äh, bin bei dem Nebel lefte Nacht irgendwo gegen gelaufen, M’Lady.«
Seine Zunge schien ebenfalls angeschwollen – sein Gehirn offenbar auch, wenn er glaubte, sie würde ihm einen solchen Unsinn glauben. »Belügt mich nicht, Wat!«
»Daf würde ich niemalf wagen, M’Lady. Bei Gott, ich habe mich irgendwo gestofen. Fiemlich feft«, fügte er betreten hinzu.
»Wo denn?«, fragte Alaida und setzte sogleich nach, als er ihr die Antwort schuldig blieb. »Sagt mir, wer Euch geschlagen hat! Ich werde dafür sorgen, dass derjenige …«
»Ich war welft Fuld, M’Lady. Ehrlich. Ich war unachtwam, und daf habe ich nun davon. Ef geht fohn. Macht Euch meinetwegen blof keine Mühe, My Lady.« Bevor Alaida noch etwas sagen konnte, verbeugte er sich und eilte davon.
Kopfschüttelnd sah Alaida ihm hinterher. Sie duldete weder Schlägereien noch Trunkenheit bei ihren Beamten wie beim Gesinde – und dieser Bluterguss sah ganz nach beidem aus. Möglicherweise hatte Wat sie deshalb belogen. Nun gut, sie würde es schon herausfinden und sich zu gegebener Zeit darum kümmern. Was immer im Haupthaus, in den Nebengebäuden oder im Dorf geschah, kam früher oder später Bôte zu Ohren und damit auch ihr. Der Wind peitschte ihr den Regen ins Gesicht, und sie hastete ins Haus.
Die Mägde, die nicht in der Küche beschäftigt waren, saßen oben im herrschaftlichen Gemach vor dem wärmenden Feuer und waren mit Spinn- und Näharbeiten beschäftigt. Alaida gesellte sich zu ihnen. Sie nahm die Nadel, die noch immer zwischen den Beinen des gestickten Ritters steckte, und widmete sich den Säumen des Altartuchs. Kurz darauf erschien Bôte mit einem Korb Stopfwäsche und ließ sich neben ihr nieder.
Als die anderen Frauen plötzlich zu kichern begannen, sah Alaida von ihrer Stickarbeit auf. Sogleich stieg ihr flammende Röte in die Wangen, als auch ihr auffiel, welches Kleidungsstück Bôte als Erstes aus ihrem Korb holte: Es war das zerrissene Unterkleid, das Alaida in der Hochzeitsnacht getragen hatte.
»Ich könnte es flicken, My Lady, und den Ausschnitt besticken, damit es weniger auffällt«, sagte Bôte und setzte eine Unschuldmiene auf, die ihren anzüglichen Ton Lügen strafte. »Oder soll ich für die Schnürung Ösen machen?«
Erwartungsvoll sahen die Frauen Alaida an. Diese zögerte. Gerade hatte sie wohlwollend an Ivo gedacht, und so klang ihre Antwort, als habe sich ein Kobold ihrer Sprache bemächtigt.
»Ösen. Obwohl auch die meinem stürmischen Gemahl wohl kaum standhalten werden.«
Sie erntete herzliches Gelächter und fühlte sich auf einmal aufgenommen in den Kreis verheirateter Frauen. Hadwisa und die anderen unverheirateten Frauen wurden in die hinterste Ecke des Zimmers gescheucht, so dass Alaida und die anderen Frauen ungestört schwatzen konnten. Nach dem Dorftratsch – wenngleich keinerlei Rede von Wat war – ging es um Männer und Bettgeschichten und zu guter Letzt ums Kinderkriegen. Als die Frauen ihre Handarbeiten schließlich weglegten und hinuntergingen, um sich auf das Essen vorzubereiten, saß Alaida mit aufgerissenen Augen da, überwältigt angesichts all der neuen Erkenntnisse – und Ängste.
»Lasst Euch von denen bloß keine Angst einjagen, My Lady«, sagte Bôte, während sie die Stopfnadel zurück in das dafür vorgesehene Kästchen legte und es sorgfältig verschloss. »Ihr seid geradezu dafür geschaffen, Kinder zu bekommen. Ihr habt ein breites Becken und einen Ehemann mit einem kräftigen Samen. Wenn die Zeit reif ist, werdet Ihr ein gesundes Baby zur Welt bringen.«
»Aber ich habe Angst davor, Bôte.«
»Alle Frauen haben Angst davor. Ihr werdet es schon schaffen, mein Lämmchen. Da bin ich mir ganz sicher.«
Bôtes bestimmte Worte taten gut und nahmen Alaida
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