Nachtkrieger
nicht mehr aushielt. Mehr als einmal hatte Brand auf diese Weise verloren, weil er versucht hatte, etwas zu erzwingen. Auch sie selbst hatte sich das eine oder andere Mal geschlagen geben müssen, nachdem sie den gleichen Fehler begangen hatte. Sie fragte sich, wie lange de Jeune durchhalten würde.
»Der König verlangt zu wissen, wie der Bau der Burg voranschreitet«, begann de Jeune.
»Mmm.«
»Ich bringe Euch auch das Silber, das er Euch zugesichert hat«, fuhr er fort und wartete auf eine Antwort. Als Ivo schwieg, fügte er hinzu: »Ich darf es Euch allerdings nur aushändigen, wenn ich zufrieden bin.«
»Und? Seid Ihr zufrieden?«
Lord Robert warf einen Blick auf Alaida und tappte in die Falle: »Was immer sie Euch erzählt hat, es war gelogen.«
»Mir erzählt hat?« Ivos Stimme klang eisenhart. »Was hätte sie mir denn zu erzählen,
Robert?
«
Panik spiegelte sich in de Jeunes Blick, als ihm sein Schnitzer bewusst wurde. »Diese Sache … mit dem Adler. Er griff mich an. Aber Eure Gemahlin ist der Ansicht, es sei ein Versehen gewesen. Sie möchte nicht, dass er getötet wird.«
»Mit so etwas befasst Ihr Euch?«
»Äh … ja.«
»Mmm.« Ohne de Jeune aus den Augen zu lassen, leerte Ivo das Trinkhorn und stellte es zur Seite. »Ich befasse mich lieber mit jemandem, der das ›Nein‹ meiner Frau einfach nicht akzeptieren will – so wie Ihr heute zweimal.«
»Ich weiß nicht, worauf Ihr …«, begann de Jeune.
Ivo ging einen Schritt nach vorn und blickte auf de Jeune, den er um einiges überragte, herab. Seine Stimme bebte vor Zorn, als er sagte: »Man hat Euch gesehen.«
De Jeune öffnete den Mund, brachte aber keinen Ton heraus. Abermals warf er einen Blick auf Alaida. Ihr stockte der Atem. Sollte de Jeune es wagen, ihr die Schuld in die Schuhe zu schieben, würde Ivo ihn mit Sicherheit töten.
Sie sah ihm an, wie de Jeune mit sich rang und beschloss, am Leben zu bleiben. Reumütig sagte er: »Ich bitte Euch ergebenst um Verzeihung, My Lord. Man ließ mich glauben, My Lady sei mir äußerst zugetan.«
»Das kam natürlich nicht von ihr selbst«, fügte er hastig hinzu, als er sah, dass Ivos Miene sich verdüsterte. »Lady Alaida gab mir keinerlei Grund zu der Annahme … Wie Ihr selbst sagtet, wies sie mich zweimal zurück. Einzig und allein meine Eitelkeit war es, die mir die Ohren verschloss.« Er machte eine tiefe Verbeugung und sagte: »Vergebt mir, My Lady. Und sagt mir, wie ich mein Vergehen wiedergutmachen kann.«
Seine Reue schien aufrichtig. Doch ungeachtet dessen wollte Alaida die Angelegenheit möglichst schnell hinter sich bringen, ohne neue Streitigkeiten heraufzubeschwören. »Ich vergebe Euch, My Lord. Was eine Wiedergutmachung angeht, so wäre mir am liebsten, Ihr würdet samt Euren Rittern in Frieden von dannen reiten.«
»Wir werden uns bei Sonnenaufgang auf den Weg machen.«
»Ihr werdet Euch unverzüglich auf den Weg machen«, sagte Ivo. »Ich habe bereits jemanden nach Lesbury geschickt. Das liegt nur drei Meilen entfernt, und sowohl das Wetter als auch die Straßen sind gut. Mein dortiger Gutsverwalter wird Euch für die Nacht eine Unterkunft gewähren, so dass Ihr am nächsten Morgen Euren Weg fortsetzen könnt.«
Mit zusammengepressten Lippen nahm de Jeune diesen dritten Affront zur Kenntnis. Doch er verdrängte seinen Stolz und richtete sich mühsam auf. Plötzlich schien er um Jahre gealtert. Er ging zur Tür und rief seinem Sekundanten zu: »Wakelin, wir brechen auf! Noch heute Abend machen wir uns auf den Weg zurück nach Bamburgh.«
Ivo begleitete ihn bis zur Treppe. Als de Jeunes Männer sich erhoben und zum Aufbruch bereitmachten, sagte er: »Ich bedaure außerordentlich, dass Ihr bereits aufbrechen müsst, My Lord. Ich hätte Euch gern, was den Turmbau angeht, um Rat gefragt.«
Lord Robert schien zunächst verblüfft, dann misstrauisch und letztlich dankbar, als ihm bewusst wurde, dass Ivo darauf verzichtete, ihn vor seinen Männern das Gesicht verlieren zu lassen. Er nickte ihm kaum merklich zu und sagte: »Wir haben Alnwicks Gastfreundschaft bereits viel zu lange in Anspruch genommen, My Lord. Wir werden von Eurem Angebot, uns in Lesbury einzuquartieren, Gebrauch machen. So steht uns morgen keine ganz so lange Reise bevor.«
Auf dem Weg die Treppe hinunter sah er sich noch einmal um und nickte Alaida, die in der Tür ihres Gemachs stand, ehrerbietig zu. »My Lady.«
»
Monseigneur.
Gute Reise«, sagte sie und nahm ihren Platz an Ivos Seite ein.
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