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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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das durch die Terrassentür drang, tauchte die Personalküche in ein milchiges Zwielicht, und neben der Spüle flimmerte auf einem winzigen Fernseher ein Sportprogramm. Flavio ließ das zweite Päckchen Zucker in seinen Kaffee rieseln und strich sich mit der anderen Hand über den Bauch.
    »Scheiße«, murmelte er, »ich muss echt wieder öfter trainieren.«
    Nachdem ich die Kanne zischend auf die Warmhalteplatte der Kaffeemaschine geschoben hatte, setzte ich mich ihm gegenüber an den Tisch.
    »Einen Schluck Whiskey in den Kaffee, oder lieber nichts trinken?«, fragte ich.
    »Ich dachte, du bist hier auf Arbeit.«
    »Schon okay.«
    »Einen kleinen Schluck«, sagte er. Ich schraubte einen Flachmann auf und kippte einen Schwung in unsere Tassen. »Seit ich mit der Türsteherscheiße aufgehört habe, saufe ich echt viel weniger.«
    »Noch morgens?«
    »Pfff! Neeneee … also nur manchmal. Aber keine harten Sachen. Sonst würde ich den ganzen Bürokram gar nicht hinkriegen«, sagte Flavio. »Das ist … das ist echt ein einziges Generve. Da machste dir kein Bild von.« Nachdem er einen Schluck Kaffee genommen hatte, starrte er in die Tasse und verzog das Gesicht. »Zucker und Whiskey war ’ne Scheißidee«, sagte er. Trotzdem nahm er sofort einen zweiten Schluck.
    |280| »Packen deine Brüder noch mit an?«
    »Ja, schon«, sagte Flavio. »Aber nächstes Jahr macht mein Alter einen Bringdienst auf und den soll ich dann alleine managen. Hat er mir neulich gesagt.«
    »Kannste doch bestimmt gut Kohle mit machen«, sagte ich, aber Flavio winkte ab.
    »So viel kommt da auch nicht bei rum. Wenigstens muss ich nicht mehr mit den ganzen hackenbreiten Teenagern an der Tür rumdiskutieren.« Er sah mich an. »Weißte was? Ich hatte schon keinen Bock mehr auf den Mist, als das irgendwann mit den Schutzwesten losging. Können die Idioten nicht einfach nur saufen gehen? Weshalb nehmen die denn Messer mit zum Feiern?« Flavio schüttelte den Kopf. »Jetzt fange ich auch schon mit Der-guten-alten-Zeit an oder was?«
    Ich lächelte.
    »Willste nicht mal Licht anmachen?«, fragte Flavio.
    »Haben keine Glühbirnen mehr.«
     
    Das Hotel Virginia, in dem ich seit fast einem Jahr als Mädchen für alles jobbte, war ein Drecksloch, und man musste nicht vom Fach sein, um zu bemerken, dass es ursprünglich ein Puff gewesen war. Seit Jahren war keines der Zimmer renoviert worden, und so schlugen die Tapeten Wellen oder kräuselten sich über den Fußleisten von der Wand. Dort, wo früher Bilder gehangen hatten, war noch die sattere Originalfarbe zu erkennen. Diese Stellen waren wie Knicke im Raum-Zeit-Kontinuum, durch die man einen Blick in die Vergangenheit werfen konnte. An den meistbenutzten Stellen, wie von der Tür zum Bett, waren die Teppiche bis auf die Gummierung abgelatscht, und die Matratzen waren butterweich. Für fünfunddreißig Zimmer hatten wir neunundzwanzig Garnituren Bettwäsche, und die Laken waren, obwohl sie regelmäßig gewaschen wurden, übersät mit Flecken und Brandlöchern. Die drei Polinnen, die für den Haushalt verantwortlich waren, kamen zwar wöchentlich vorbei, verbrachten aber die |281| meiste Zeit damit, Kaffee zu trinken und mit mir herumzuschäkern. Irena, mit Mitte fünfzig die Älteste von ihnen, gab mir zur Begrüßung seit einer Weile einen Klaps auf den Hintern und erntete jedes Mal Juchen und Gekicher von den anderen. Gründlich sauber gemacht hatten sie die Zimmer schon länger nicht mehr. In den Gardinen hingen tote Insekten wie in Spinnennetzen, hinter den Heizungen sammelten sich Staubflusen, und um die Abflüsse der Waschbecken und Plastik-Duschkabinen, die es in jedem Zimmer gab, zog sich ein brauner Rand. Toiletten gab es nur zwei pro Etage, wobei an einem der Klos im ersten Stock, schon seit ich mit dem Job angefangen hatte, ein
Defekt
-Zettel pappte. Der Rest des Hauses war genauso schäbig, nur dass die Billiglampen an den Wänden für derart dumpfes Licht sorgten, dass man nicht sofort bemerkte, wie heruntergekommen es tatsächlich war.
    Ende der Neunziger hatte Berti den Schuppen gekauft, und seitdem nutzte er ihn als Geldwaschanlage. Womit genau er seine Kohle machte, wusste ich nicht und wollte es auch nicht wissen. Die Karte, die er mir auf Franz’ Beerdigung in die Hand gedrückt hatte, war für mich wie eine Reißleine gewesen, von der ich wusste, dass ich sie ziehen konnte, sollte es mir finanziell dreckig gehen. Obwohl ich mich anfangs dagegen gesträubt hatte, auf sein Angebot

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