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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Ärger.«
    »Hören Sie«, setzte der Polizist inzwischen bestimmter an, »wir werden uns sowieso Zutritt zur Wohnung verschaffen, ob Sie wollen oder nicht. Das hier ist Ihre Chance, uns entgegenzukommen, verstehen Sie?«
    Mit Wucht trat Franz gegen einen der Stühle, der klackernd in der Ecke landete.
    »Franz, bitte!«, sagte Mutter.
    Als Franz mich auf dem Sessel sah, kam er zu mir, packte mich am Arm und zerrte mich durch den klimpernden Vorhang zurück in die Küche. Obwohl ich am ganzen Leib zitterte, versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen, sondern rückte mir nur den Cowboyhut zurecht. Schweißperlen glitzerten auf Franz’ Stirn, und als er sich zu mir herunterbeugte, konnte ich seinen Bieratem riechen. »Pass auf, Cowboy«, flüsterte er, und ich bemerkte seine winzigen Pupillen. »Du sagst jetzt, dass alles in Ordnung ist.«
    »Hier ist alles in Ordnung«, wiederholte ich.
    »Lass Richard bitte in Ruhe«, jammerte Mutter.
    Franz knetete meinen Arm und starrte mich unverändert an. »Ihr spielt«, zischte er.
    »Wir spielen, Mama.«
    »Und ich trinke Bier.«
    »Und Franz trinkt Bier und guckt nur Fernsehen.«
    »Gut.«
    »Öffnen. Sie. Sofort. Die. Tür«, sagte der Polizist.
    |272| Franz gab einen entnervten Laut von sich, ließ mich los und stampfte zum Fenster, stützte sich mit den Knöcheln auf dem Fensterbrett ab und murmelte unverständliches Zeug vor sich hin. Im Treppenhaus plärrte und rauschte das Funkgerät.
    »Das Theater ist jetzt vorbei«, sagte der Polizist schließlich. »Das ist Ihre letzte Chance, freiwillig die Tür zu öffnen, ansonsten brechen wir sie auf. Also?«
     
    Ich starrte die Tür an, die eingehängte Kette. Auf einmal wurde mir bewusst, dass ich selbst sie öffnen konnte. Es waren nur zwei Schritte, und Franz wandte mir noch immer den Rücken zu, er hätte mich nicht stoppen können.
    »Bitte«, wimmerte Mutter.
    Aber ich rührte mich nicht, hörte nur zu, wie sie schniefte und keuchte. In dem Moment begriff ich, dass ich sie nicht reinlassen wollte. Weil ich nicht wollte, dass sie glaubte, ich wolle sie bei mir haben, damit sie mich in den Arm nahm und tröstete. Ich wollte nicht, dass sie glaubte, ich brauchte sie.
    Ich rückte mir den Cowboyhut zurecht.
    Dann rief Ingrid wieder nach mir. Ihre Stimme fuhr mir in die Knochen. Ich spürte sie in meinen Beinen, die sich auf die Tür zubewegen, und in meinen Händen, die nach der Kette greifen wollten. Erst blieb ich noch unentschlossen stehen, aber als Ingrid ein zweites Mal rief, gab ich schließlich nach. Gerade setzte ich mich in Bewegung, da unterbrach sich Franz bei seinem Gebrabbel, verstummte und stöhnte. Als ich mich zu ihm umsah, huschte Blaulicht über die Decke unserer Küche, und Autotüren klappten.
    »Verpisst euch!«, brüllte Franz und stürmte auf mich zu. Ich floh ins Wohnzimmer. Franz folgte mir und schubste mich beiseite, sodass ich über einen der Sessel stolperte und mit der Stirn gegen den Wohnzimmertisch knallte. Der Schmerz zuckte durch meinen Schädel. Franz knipste das Licht an, wischte mit der flachen Hand über die Tischplatte und schnappte sich einen Rucksack vom Sofa. Mich aufrappelnd, |273| rieb ich mir den Kopf und sah Ingrid noch immer hinter der Tür hocken. Ich wedelte mit einer Hand, dass sie verschwinden solle, aber sie verstand nicht, sondern winkte stattdessen zurück. Es bollerte dumpf gegen die Wohnungstür. Franz sah sich um, presste den Rucksack gegen seine Brust und spurtete zum Kinderzimmer. Ingrid begriff zu spät, dass er sie hinter dem schmalen Spalt nicht bemerkt hatte und die Tür aufstoßen würde. Zwar versuchte sie noch, beiseitezurutschen, war aber zu langsam und bekam die Tür vor die Knie geknallt. Augenblicklich jaulte sie los und rollte sich zusammen wie ein Igel. Ich setzte mir wieder den Hut auf, sank in den Sessel und konnte mich nicht rühren, als hielte mich eine Horde Rothäute in Schach. Etwas lief mir ins Auge, und als ich es wegwischte, bemerkte ich, dass ich blutete. Ein weiteres Mal donnerte es gegen die Tür. Ich klammerte mich an den Colt.
    »Alles gut, Ingrid«, hörte ich mich rufen und beobachtete Franz. Keuchend schob er den Rucksack unter mein Bett und tätschelte anschließend Ingrid den Kopf, bevor er die Tür hinter sich zuzog und zurück ins Wohnzimmer hastete. Er schaltete den Fernseher ein, drehte die Lautstärke auf, bis Ingrids Gejaule nicht mehr zu hören war, und griff sich eine leere Bierflasche. In derselben Sekunde sprang die

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