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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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auseinandernehmen und dann mich einer Leibesvisitation unterziehen würde. Aber als er Ingrid sah, die ihn anlächelte und ihm unsere Ausweise entgegenstreckte, winkte er uns ohne Weiteres durch.
    Ich schnaufte, lehnte mich nach hinten und fischte ein Navigationsgerät aus der Seitentasche des Rucksacks. Nachdem ich es eingeschaltet hatte, starrte ich einen Moment lang in das angenehm schimmernde Blau des Displays. Ingrid linste zu mir herüber, als ich auf dem Gerät herumtippte.
    »Das packst du jetzt aus?«, fragte sie und deutete auf ein Schild am Straßenrand. »St. Gallen ist sowieso ausgeschildert.«
    »Bist du noch halbwegs fit?«, fragte ich.
    »Toter Punkt ist überschritten.«
    Ich setzte mein Welpengesicht auf und sagte: »Wir müssen noch einen kleinen Umweg machen, bevor wir ins Krankenhaus fahren.«
    »Was? Wohin?«
    »Dauert etwa eine halbe Stunde oder so. Ist nicht weit.«
    »Das kannste vergessen«, antwortete Ingrid entschieden. »Ich kann nicht mehr.«
    »Ich weiß, dass du müde bist, aber es ist echt wichtig, dass ich da heute noch vorbeifahre. Das ist irgendein Kaff bei St. Gallen. Liegt fast auf dem Weg.«
    Ingrid schüttelte den Kopf. »Wir sind seit neun Stunden unterwegs. Ich will da jetzt einfach nur ankommen.«
    »Ich dachte, wir würden ein bisschen schneller vorankommen«, sagte ich, worauf sie mich ärgerlich ansah.
    »Können wir das nicht morgen machen?«, fragte sie.
    »Ich habe diesen Termin heute«, druckste ich herum.
    »Einen Termin«, wiederholte Ingrid ungläubig. »Richard, worum geht’s hier gerade?«
    Der Schatten des Scheibenwischers glitt über ihr Gesicht und schob den vorher zwar müden, aber doch entspannten |288| Ausdruck beiseite. Ich hatte mir keine Gedanken darüber gemacht, was ich in diesem Moment sagen würde, rieb mir über die Koteletten und klackerte mit den Fingernägeln auf dem Navigationsgerät herum.
    Ingrid sah sich zum Rucksack um und fragte: »Richard, hast du etwa gerade Drogen rübergeschmuggelt oder so was? Sag mal, spinnst du?«
    »Keine Drogen«, sagte ich mit einer beschwichtigenden Handbewegung und schob leiser hinterher: »Ich glaube, keine Drogen.«
    »Du glaubst?«
    »Ich habe den Rucksack bekommen und bringe den da jetzt kurz vorbei. Habe nicht reingeguckt.«
    Hörbar ein- und ausatmend, umfasste Ingrid das Lenkrad fester, sodass ihre Fingerknöchel hervortraten.
    »Ist doch nichts passiert.«
    »Darum geht’s doch gar nicht«, sagte sie. »Es hätte aber was passieren können. Und dann hättest du mich da mit reingezogen.«
    »Hätte ich alles auf meine Kappe genommen.«
    »Das war ja klar.«
    »Nun lass mal gut sein. Ist doch alles okay«, reagierte ich bewusst ruhig.
    »Hör mal auf, so von oben herab mit mir reden. Du bist fünfundzwanzig Jahre lang nicht mein großer Bruder gewesen, da musst du jetzt nicht damit anfangen. Schon gar nicht bei so einem verantwortungslosen Scheiß.«
    »Jetzt mach doch nicht gleich so ’ne Thermik deswegen.«
    »Weißt du, nur weil du nichts aus deinem Leben gemacht hast, musst du mich nicht auch noch runterziehen. Wenn du sagst, dass das Heim nicht so schlimm gewesen ist, hättest du ja auch mehr aus dir machen können. Mit so ’nem kriminellen Zeug will ich nichts zu tun haben.«
    Ich rutschte im Sitz hin und her und stieß mit dem Musikantenknochen gegen den Türgriff.
    |289| »Mit meinen Pflegeeltern war das auch nicht immer einfach.«
    »Hartes Leben hattest du«, sagte ich und rieb mir den Arm.
    »Das ist jetzt alles abgehakt für dich, ne? Wir tun einfach so, als wenn nichts gewesen wäre, oder was? Jetzt helfe ich dir noch beim Drogenschmuggeln, und dann hast du mich in der Hand, oder was?«
    Mir war bewusst, dass es nicht in Ordnung war, was ich getan hatte. Dennoch fragte ich, als wenn nichts weiter wäre: »Was soll das denn gerade? Wir machen einen kleinen Umweg, und …«
    »Du bist genau das wandelnde Klischee, für das man dich im ersten Moment hält, wenn man dich sieht, oder?«, fragte Ingrid kopfschüttelnd. »Alles andere ist echt nur Getue.«
    Für einige Sekunden vergaß ich zu atmen. »Was?«, fragte ich dann.
    »Na, guck dich doch mal an«, sagte sie deutlich leiser. »Ich kenne Leute wie dich. Glaub mal nicht, dass ich nur die liebe kleine Blondine bin. Ich bin echt nicht bescheuert. Dieses ganze nette Gehabe von dir ist doch nur Masche. Und ich dachte vorhin echt, dass ich mich geirrt hätte. Ihr Typen habt so eine ganz eigene Art von Intelligenz. Ihr wisst genau, wie ihr mit

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