Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Leuten reden und was ihr ihnen erzählen müsst, um sie um den Finger zu wickeln, ne? Dann lächelt ihr so schön charming«, sie wackelte affektiert mit dem Kopf, »und dann lässt man euch alles durchgehen, ne? Ich hab schon verstanden, was du für einer bist. Irgendso’n Kleinkrimineller, der sich seinen Weg durchs Leben gelogen und rechts und links alle Leute beschissen hat, um durchzukommen, ne?«
    Schlagartig trat das blecherne Dröhnen des Motors in den Vordergrund, bohrte sich hinter meine Schläfen, und ich gaffte aus dem Fenster, wo die nächtliche Schweiz vorbeizog.
    »Ingrid, also …«, stammelte ich, ohne zu wissen, wie der Satz weitergehen sollte, da sagte die mechanische Stimme des |290| Navigationsgerätes: »Bitte folgen Sie dem Straßenverlauf für acht Kilometer.«
    »Da müssen wir sowieso lang«, sagte Ingrid trotzig. Ich drückte mich in den Sitz und spürte den Rucksack im Kreuz wie einen pulsierenden Kokon, aus dem jede Sekunde eine gefräßige Monsterlarve platzen würde.
    »Ich mache solche Sachen sonst nicht«, sagte ich schließlich. »Ich schulde dem Typen, für den ich den Rucksack da vorbeibringen soll, noch eine größere Sache«, versuchte ich zu erklären. »Ich habe da mal einen Gefallen angenommen, der mir eigentlich nicht zugestanden hat. Das hat der Typ aber erst Jahre später rausgefunden. Neulich erst. Und der mag mich halt. Inzwischen. Von daher hatte das keine wirklich schlimmen Konsequenzen für mich, aber eine große Sache schulde ich ihm dadurch nun mal. Die erledige ich hiermit. Dann ist auch Schluss mit so was.«
    In Ingrids Ohren musste ich klingen wie ein Junkie, der versprach, sich vorm Entzug noch einen letzten Schuss zu setzen. »Ich habe keine Ahnung, was du gerade für’n Zeug erzählst, aber ich fahre da auf keinen Fall hin«, sagte sie.
    Mein Mund war trocken. Unser Auto schwebte als kleiner blauer Pfeil über die digitalen Straßen des Navigationsgerätes wie aufgefädelt, als könne es durch nichts von seinem Weg abgebracht werden. Ich schaltete das Gerät aus.
    »Erinnerst du dich noch an Franz?«
    Nach einem Moment der Stille sagte Ingrid: »Der war immer so laut.« Fast klang sie ängstlich.
    »Ja«, sagte ich. »Ja, der war immer laut.«
    Sie knabberte an ihrer Unterlippe. »Was ist mit dem?«
    »Der Typ, für den ich das gerade mache, hat mich …« Ich schluckte und war selbst irritiert über das, was ich als Nächstes sagen würde. »Der hat mich für Franz’ Sohn gehalten. Der hat ihm noch von ganz früher, keine Ahnung, wann, einen Gefallen geschuldet, den ich nach Franz’ Tod angenommen habe. Das hat sich irgendwie so ergeben. Und ich habe den |291| Typen halt in dem Glauben gelassen, dass ich Franz’ Sohn bin, weil ich die Kohle ganz gut gebrauchen konnte. Vor kurzem ist das aber doch rausgekommen. Verstehst du?«
    »Nee«, sagte Ingrid mit brüchiger Stimme. »Verstehe ich nicht. Die haben dich für seinen Sohn gehalten? Was hattest du denn mit dem zu tun?«
    »Ich habe mich so ein bisschen um ihn gekümmert, die letzten Jahre. Der war krank.«
    Ingrid fummelte an der Lüftung herum und fragte fassungslos: »Du hast dich um den Kerl gekümmert, der Mama regelmäßig vergewaltigt hat?«
    »So war das nicht.«
    »Klar war das so! Ein paar Sachen habe ich vielleicht vergessen, aber das weiß ich noch. Das war doch gleich im Zimmer nebenan.«
    »Die beiden waren ein Paar.«
    »Ja, umso schlimmer.« Ingrid lachte ungläubig. »Der hat Mama auf den Strich geschickt, hat sie regelmäßig verprügelt und …«, sie biss auf ihrer Unterlippe herum, »wegen dem ist das mit uns doch alles so gekommen, wie es gekommen ist.«
    Ich wusste nichts zu sagen. »Der war zum Schluss wirklich ein guter Freund von mir«, stammelte ich, war mir aber mit einem Mal nicht mehr sicher. »Der war schon in Ordnung.«
    »Ey, Richard«, flüsterte Ingrid gepresst, »was bist du für ein dummes Schwein.«
    Tränen liefen ihr über die Wangen. »Und jetzt soll ich wegen dem Scheißtypen auch noch einen Umweg fahren, oder was?« Sie wischte sich mit dem Ärmel durchs Gesicht. »Jetzt muss Mama wegen dem auch noch auf uns warten?«
    Während ich das Navigationsgerät in die Ablage legte, wiederholte ich in Gedanken Ingrids letzten Satz.
    »Scheiße, ich weiß nicht mal, was ich Mama sagen soll, wenn wir dann vor ihr stehen«, sagte sie. »Ich dachte, wir überlegen uns das zusammen auf der Fahrt. Aber irgendwie …« Sie stockte.
    |292| Wieder musste ich mir ihre letzten

Weitere Kostenlose Bücher