Nachtleben
Rücken zu sehen bekommen, und so dachte ich mir meinen Teil und fragte nicht weiter nach.
In der Nacht zum 1. Mai baute Schmidt jedes Jahr einen Biergarten samt Grill im Hinterhof auf, spannte Lampionketten von Wand zu Wand und verband den Tanz in den Mai mit seiner |48| Geburtstagsfeier. Irgendwann hatte es sich eingebürgert, am 30. April zu feiern, obwohl Schmidt mitten im Winter Geburtstag hatte. So krochen an diesem Tag sämtliche alten Haudegen aus ihren Löchern, um mit ihm anzustoßen.
In jenem Jahr war Schmidt besonders gut drauf, hatte ein riesiges Buffet mit Salaten und Schnittchen aufgefahren und Unmengen Grillfleisch besorgt; dazu standen knapp zwanzig verschiedene Soßen zur Auswahl, und in Petes Zimmer stapelte sich Weißbrot.
Um Schmidt und Pete bei den Vorbereitungen zu helfen, waren Flavio und ich schon früher vor Ort, präparierten den Grill und schleppten Getränkekisten. Aus Euro-Paletten, die wir in der vorherigen Nacht bei einem Supermarkt abgestaubt hatten, und einigen Latten nagelten wir eine Bühne zusammen, auf der Mitbewohner aus Petes Heim auftreten sollten. Flavio hämmerte die Bretter krumm und schief über die Paletten, und jeder zweite Nagel knickte ihm auf der Hälfte um.
»Achte mal auf die Winkel«, sagte ich irgendwann, aber Flavio schüttelte den Kopf.
»Das Teil steht hier keine Woche, dann schmeißen wir’s wieder weg.«
»Das muss aber stabil sein, wenn die da nachher zu siebt oder zu acht drauf rumtanzen. Guck mal, diese Verstrebung hier ist total wackelig.« Damit stellte ich meinen Fuß auf die Stelle und wippte darauf herum.
Flavio sah mich schmunzelnd an. »Ist das gerade Ehrgeiz, Rick? Das ist ja mal ganz was Neues. Und morgen renovierste den Petersdom, ne? Würde meine Oma sich auch drüber freuen.«
Ich sagte nichts, sondern schlug einen Nagel ein.
Es wurde ein warmer Abend. Der Geruch der Holzkohle vermischte sich mit der lauen Frühlingsluft, und der Hof füllte sich mit Gästen. Eine Weile folgte ein Begrüßungsgejohle aufs andere. Auf der Bühne sangen und trommelten Petes Leute, |49| und er selbst kümmerte sich um den Grill. Im Laufe der Monate hatte er ein wenig Deutsch gelernt, hatte aber am meisten Spaß daran, unsinniges Zeug wie
Knackige Wurste
oder
Fleisch muss sein
zu rufen. Dabei trug er eine von Schmidts versifften Schürzen mit dem Aufdruck
Wenn’s klemmt, frag Papa!
Kurz vor Mitternacht tauchte Nina auf, mit der Flavio seit knapp zwei Wochen etwas am Laufen hatte. Anders als üblich hatte er sie nicht in sturzbetrunkenem Zustand am Wochenende aufgerissen, sondern kennengelernt, als er seinen Vater in einer von dessen Pizzerien besucht hatte, in der sie kellnerte.
In den vorangegangenen Stunden hatten Flavio und ich immer mal wieder ein Bier am Hals gehabt und auch bei dem einen oder anderen Schnaps nicht nein gesagt. Als Flavio Nina zur Begrüßung umarmen wollte, ging sie sofort auf Abstand.
Pete und ich standen am Grill und sahen dabei zu, wie die beiden sich auf eine Bank setzten. Flavio lehnte sich, pausenlos auf Nina einredend, immer weiter zu ihr hinüber, während sie Stück für Stück abrückte und er stumpf hinterherrutschte. Es wirkte wie in einem Slapstick-Stummfilm, in dem der aufdringliche Liebhaber Frollein Fass-mich-nicht-an auf die Pelle rückt, die pikiert dreinschaut und nicht weiß, was sie noch alles tun muss, damit er endlich Ruhe gibt. Als das Ende der Bank erreicht war, lehnte Nina sich zur Seite und schaute hinunter in den Kies, als würde sie in eine Schlucht starren. Flavio sabbelte weiter vor sich hin und lachte gelegentlich laut auf. Nina sah sich um.
Obwohl ich mich am vorherigen Wochenende nur kurz mit ihr unterhalten hatte, lächelte sie, als sie mich bemerkte, und kam zu mir herüber, ohne Flavio weiter zu beachten. Der verstummte, lehnte sich, die Arme über der Rückenlehne, breitbeinig auf der Bank zurück und schaute ihr hinterher. Zur Begrüßung drückte sie mir ein Küsschen auf die Wange, und als ich zum Smalltalk ansetzen wollte, hatte sie Pete schon das nächste verpasst.
»Thanks for that, sweetheart«, sagte er. Ein Lächeln zog sich |50| über ihr Gesicht, und sie plapperte ihn auf Englisch voll. Pete schielte zu mir herüber, als bräuchte er meinen Segen, aber ich zuckte nur mit den Schultern. Aus der Entfernung sah ich Flavio mit den Fingern knacken. Einen nach dem anderen.
Obwohl ich kaum verstand, worüber Pete und Nina sich unterhielten, spürte ich doch, wie sie ihn um den
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