Nachtleben
einen mit Bier oder Schnaps erwische, ist das sein letzter Abend. Capito?«
Wir nickten. Aber dann hob Flavio die Hand, meldete sich wie ein Sechstklässler und fragte schnipsend: »Können wir kiffen?«
Wie in Zeitlupe schloss Tommaso die Augen und schüttelte den Kopf. »Da habe ich mir echt Pat und Patachon in den |152| Laden geholt, was?«, flüsterte er. Die Zwillinge stießen sich mit den Füßen an und kicherten.
»Na, ich dachte ja nur. In den Pausen oder so.«
»Welche Pausen?«, sagte Arne, und Tobi fragte: »Tommaso, müssen die beiden echt mit nach vorne?«
»Die müssen da jetzt durch.«
»Wir müssen da jetzt durch«, korrigierte Mario.
»Jungs«, Tommaso sah Flavio und mich eindringlich an. »Das ist jetzt heute Abend echt Bewährungsprobe. Letzte Woche war Praktikum, da war’s in Ordnung, nur zuzugucken. Heute ist’s ernst. Rick, wenn du dieses Mal auch wieder nur rumstehst, wenn es zur Sache geht, kannst du den Job hier echt knicken. Und, Flavio: Die Fresse nicht immer ganz so weit aufreißen wäre echt hilfreich. Arbeitet mal zusammen. Du guckst dir von Rick ab, wie man ruhig bleibt und anständig mit den Leuten redet. Und du«, er deutete auf mich, »du nimmst dir mal ’n Beispiel an Flavio, wenn reden nichts mehr bringt. Capito?«
»Capito«, antworteten wir im Chor.
»Jeder hält dem anderen den Rücken frei. Da muss ich mich drauf verlassen können.«
Wir nickten.
»Im Spind sind die Jacken für euch. Zieht euch die mal über.«
»Cool«, murmelte Flavio, erhob sich und angelte zwei Bomberjacken mit Security-Aufdruck auf der Rückseite aus dem Schrank. Während er seine überzog, als würde er in ein Superhelden-Kostüm schlüpfen, nahm ich meine wie eine Rettungsweste.
»Also!« Tommaso richtete sich auf und schlug sich mit den Handflächen auf die Knie. »In einer Stunde machen wir auf. Espresso irgendjemand?«
Das White Palms war eine Disco mit einem Fassungsvermögen von etwa vierhundert Leuten, und weil der Laden |153| abseits der Partyzonen der Stadt lag, kam ein Großteil des Publikums aus dem dörflichen Umland. Auf dem Parkplatz, der eigentlich zum benachbarten Baumarkt gehörte, fanden sich auffallend viele tiefer gelegte und getunte Kleinwagen, deren Besitzer das Bier gerne direkt aus dem Kofferraum soffen. Ihre Frauen, viele von ihnen in Leggins und mit Dauerwelle, süppelten Prosecco aus Piccolofläschchen, und alle paar Minuten ging ihr Gekicher im Lärm der über den Parkplatz knatternden Moped-Clique unter.
Sechzehnjährige mit Zahnspangen und klumpig überschminkten Pickeln drängelten sich genauso ins White Palms wie Vierzigjährige in Hawaiihemden und Badelatschen. Dem Namen entsprechend, war das Interieur des Ladens ganz in Weiß gehalten, und selbst bei gedimmtem Licht wurde es nie so dunkel wie in anderen Discos. Durch die verspiegelten Wände erschien der Raum ein gutes Stück größer, als er tatsächlich war. Außer den paar Quadratmetern des Eingangsbereiches, wo sich Kasse und Garderobe befanden, bestand der Laden nur aus einem großen Saal, von dem die Toiletten für die Gäste und die Personalzimmer und Büroräume abgingen. In der Mitte befand sich die mit Metallfliesen ausgelegte Tanzfläche, drum herum, vier Stufen erhöht, war die Flaniermeile, auf der es Stehtische und Sitzmöglichkeiten gab. An den gegenüberliegen Seiten des Raumes waren zwei Theken, und das DJ-Pult thronte in einer der Ecken wie eine Kanzel, von der aus die DJs stumpf die Hitparade rauf und runter düdelten. Hier und da standen weiße Plastikpalmen herum, die meisten von ihnen mit Brandlöchern und angeschmorten Blättern.
Während Flavio und ich an der Tür die Leute kontrollierten, lehnte Tommaso mit Ayhan und Tobi neben dem Eingang und überprüfte lediglich die Stempel der Gäste.
Am vorherigen Wochenende war mir noch unwohl dabei gewesen, fremde Menschen abzutasten, als Tommaso mich |154| losgeschickt hatte, um es auszuprobieren. Nach knapp vier Stunden war es schon ein Routineablauf geworden. Hatte ich mir anfangs noch Gedanken darüber gemacht, was die Leute über mich dachten, wenn ich an ihnen herumfingerte, fertigte ich sie irgendwann nur noch ab, wie ein Fließbandarbeiter eine Schraube festzieht. Die Handgriffe saßen, auch die Aufforderungen, die Handtaschen zu öffnen oder das mitgebrachte Bier auszutrinken, spulte ich zwar freundlich, aber doch mechanisch ab. Aus dem Trott gerissen wurde ich nur, wenn eine solariumgebräunte Dorfschönheit mit
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