Nachtleben
denken, Mensch! Das sage ich euch doch ständig. Immer an die Zukunft denken. Planen. Ziele haben.«
»Ja, ja«, sagte ich abfällig und hoffte auf eine zweite Backpfeife, aber sie kam nicht.
Ich zog das T-Shirt aus, trocknete mir den Oberkörper ab und sah in den Garten, wo es unverändert regnete. Die Schaukel bewegte sich im Wind, und die Blumen ließen ihre Köpfe hängen. Werner deutete aus dem Fenster.
»Die sagen, da gibt es Spätfolgen. Dann hast du irgendwann Krebs oder so was. Willst du das? Krebs?« Er legte die Stirn in Falten und fischte eine Schachtel Zigaretten aus der Brusttasche seines Hemdes.
»Kann ich eine haben?«, fragte ich.
Werner begriff sofort, erfror in der Bewegung und steckte sich dann langsam eine Kippe in den Mund. »Fünfzehn bist du, ne?«
Ich nickte.
»Jeder trifft seine eigenen Entscheidungen, Richard. Stimmt schon«, sagte er und erhob sich. »Jeder seine eigenen. Du machst das schon. Ihr macht das alle schon. Irgendwie. Ihr seid ja alle schon groß, hm? Groß und erwachsen«, murmelte er und verschwand.
Auf dem Tisch hatte er eine Zigarette für mich liegen lassen.
Nachdem es aufgehört hatte zu regnen, brachte ich Chico ein paar Möhren raus und zog später Werner wie üblich beim Tischfußball ab.
|150| August 1991
»Ey, Rick«, wisperte Flavio, als wir vor dem Hinterzimmer des White Palms standen. »Du musst das dieses Wochenende echt bringen, sonst nimmt uns mein Cousin nicht.« Flavio hob die Hand, um anzuklopfen, bremste sich aber in der Bewegung und atmete tief durch, bevor er ein wenig weiter ausholte und dreimal gegen die Tür bollerte.
»Tommaso?«, rief er, und der knurrte von drinnen ein mürrisches
Ja
zurück. Wir traten ein. Tommaso saß an einem Schreibtisch, auf dem sich Aktenordner, Briefe und Zettel stapelten. Als er uns sah, lehnte er sich in seinem Sessel zurück und zielte mit einem Kuli auf uns wie mit einem Dartpfeil. Ihm schräg gegenüber auf einer Sitzgruppe aus abgewetztem Leder hingen sechs der Türsteher. Sie übersahen uns. Alle trugen sie schwarze Bomberjacken und dunkelblaue Jeans und wirkten weniger wie Kollegen, sondern eher wie eine Gang. Obwohl keiner von ihnen wesentlich älter war als ich, fühlte ich mich ihnen gegenüber wie ein kleiner Junge. Ohne dass sie es darauf anlegten, hatten sie etwas Einschüchterndes an sich.
»’n Abend, die Herrschaften«, sagte Flavio, während er breitbeinig in den Raum spazierte und grinsend in die Luft boxte. »Wir sind topfit und zu allen Schandtaten bereit.«
»Holt euch mal die Klappstühle da hinten«, sagte Tommaso gelangweilt und beugte sich über ein Blatt Papier. Wir schnappten uns die Plastikstühle und setzten uns ein Stück abseits von den anderen.
»Also«, setzte Tommaso an. »Mit Flavio und Rick sind wir heute neun Leute. Die beiden sind mit mir, Tobi und Ayhan vorne. Mario und Selim, ihr macht den Bereich um den Hinterausgang. |151| Wahrscheinlich schickt euch der Chef früher oder später noch zum Getränkeschleppen an der Theke helfen.« Die beiden stöhnten, aber Tommaso ignorierte sie.
»Die Zwillinge«, er nickte Lars und Arne zu, »sind drinnen unterwegs.« Damit hatte er die Namen, außer denen nichts auf dem Blatt stand, abgehakt und betrachtete es zufrieden. »Ich tippe mal, es wird heute voll. Ansonsten gilt das Übliche: Achtet drauf, dass die Leute keinen Alkohol mit reinnehmen, keine Waffen, und wenn ihr jemanden mit Drogen erwischt, fliegt der sofort raus.« Tommaso sah zu mir und Flavio herüber. »Nach Drogen filzen müsst ihr die Leute nicht. Nur wenn ihr jemanden dabei erwischt. Ansonsten ist’s egal. Wenn euch die Leute am Einlass schon zu besoffen sind: freundlich wegschicken. Ganz wichtig: Bullen rufen ist immer die letzte Lösung. Egal, was passiert. Die haben eh keinen Bock mehr, hier jedes Wochenende wegen irgendwelcher Kleinigkeiten aufzulaufen. Außerdem will der Chef, dass wir heute drauf achten, dass Punkt Mitternacht keine Minderjährigen mehr im Laden sind.« Er wandte sich an Selim. »Auch die Kleine mit den dicken Titten nicht, capito?« Gerade als der den Mund aufmachen wollte, legte Tommaso den Kopf nur unmerklich schräg, und Selim blieb stumm.
»Außerdem will der Chef, dass wir die Ausländerquote niedrig halten. Das ist dein Job, Ayhan. Nur Stammgäste.«
Ayhan rieb sich durchs Gesicht: »Wer gilt denn heute als Stammgast?«
»Kannst du entscheiden. Das wird ein langer Abend. Deswegen striktes Alkoholverbot für euch. Wenn ich
Weitere Kostenlose Bücher