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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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knittrige Klarsichtfolie glatt, mit der das Tattoo abgeklebt war. Auf Flavios Schulter prangte ein gebrochenes Herz, darum schlängelte sich ein Banner mit dem Schriftzug
Breaking Hearts since 1971.
    »Is das der Hammer, Alter?«, fragte er.
    Merle kicherte.
    »Nicht schlecht«, sagte ich und musste auch lachen.
    »Ja, ne? Mehr wollte ich auch gar nicht. Dann macht ihr mal weiter euer … Familientreffen«, sagte Flavio. »Ach so, hier: Meine Mutter meinte, dass ich dir noch mal Bescheid sagen soll, dass du Weihnachten vorbeikommst. Wie immer. Kannst auch wieder übernachten, wenn du willst.« Mit großen Augen sah Merle mich an und schob einen weiteren Keks nach. »Ich |228| nur so«, fuhr Flavio fort, »Mama, der kommt sowieso jedes Jahr. Wo soll er denn sonst hin? Dem muss ich nicht Bescheid sagen. Klar kommt der Weihnachten.«
    Kopfschüttelnd griff sich Flavio seinen Pullover, wobei erst einige Fetzen Geschenkpapier hinuntersegelten und dann das Koks-Röhrchen hinterherkullerte und auf den Boden klimperte. Dort lag es wie ein Beweisstück, das alle zusammengetragenen Fakten in Frage stellte. Wir starrten es an. Aber bevor Flavio dazu kam, sich etwas zusammenzureimen, steckte Merle das Röhrchen ein und sagte: »Huch! Das ist
mir
jetzt aber peinlich.«
    Flavio schmunzelte.
    Ich brachte ihn zur Tür. Als ich mich gerade verabschieden wollte, flüsterte er mir ins Ohr: »Is mir doch egal, wenn du mal ’ne Ältere knallen willst, aber lüg mich doch nicht an, ey.«
    Ich grinste verschmitzt. Flavio machte erst den Daumen hoch und boxte mir dann gegen die Schulter, bevor er die Stufen hinuntersprang.
    »Schick mir mal ’ne SMS, ich erwarte Details!«
     
    Als ich mich ihr wieder gegenübergesetzt hatte, fragte Merle: »Willst du mir irgendetwas erzählen?«
    Nachdem ich noch einen Schluck Glühwein genommen hatte, erzählte ich ihr schließlich irgendetwas.

|229| Dezember 2007
    Ingrid schien jede Sekunde in ihrem schlabberigen T-Shirt zu verschwinden, als ich mit zwei Bechern Kaffee zu ihr an den Tisch zurückkam. Den Kopf in ihre Hände gestützt, schaute sie aus dem Fenster auf den Parkplatz der Raststätte. Es hatte wieder zu nieseln begonnen.
    »Ist ganz gut, dass wir mit dem Auto fahren. Rauche ich nicht so viel«, sagte ich, während ich mich ihr gegenüber auf die Sitzbank schob. »Bist du sehr kaputt?«
    »Koffein wird helfen«, murmelte sie.
    Direkt vor dem Fenster glitt eine Familienkutsche in eine der Parkbuchten und kam zum Stehen. Zwei Kinder im Grundschulalter mit schokoverschmierten Mündern sprangen heraus und schubsten sich hin und her, bevor ihre Mutter sie bei den Händen nahm und mit sich in Richtung der Toiletten zog. Eine Weile sah ihnen ihr Vater lächelnd hinterher, aber das Lächeln erstarb schlagartig, als sie außer Sichtweite waren. Er holte ein Handy aus seiner Hosentasche, blieb im Polohemd in der Kälte stehen und fing an zu telefonieren. Ich wandte mich ab und steckte mir eine Zigarette an.
    Zwischen den Stimmen und Schritten, dem Geklimper von Geld und der sich fortwährend öffnenden und schließenden Glastür neben uns waren das Brutzeln von Fleisch und das Sprudeln einer Friteuse zu hören.
    »Ich hole mir doch was zu essen«, sagte ich und klemmte mir die Kippe in den Mundwinkel. »Willst du auch was?«
    Ingrid schüttelte den Kopf und fächerte mit einem Bierdeckel den Qualm beiseite.
    »Wann hast du gefrühstückt?«, fragte ich.
    |230| »Ich frühstücke nicht.«
    »Du frühstückst nicht?«
    »Ich will gerade ein bisschen abnehmen.«
    Ich trank noch einen Schluck Kaffee und sah sie ungläubig an.
    »Wo denn?«, erkundigte ich mich. Ingrid verzog nur das Gesicht, als habe sie diese Frage schon zu oft zu hören bekommen, machte dicke Backen und ließ die Luft langsam entweichen. Einige Krümel auf dem Tisch gerieten in Bewegung, trudelten zu Boden, und Ingrid sah ihnen mit schräg gelegtem Kopf hinterher wie ein Hundewelpe einem Knochen, der ihm von der Brücke fällt.
    »Schwerkraft«, sagte ich. Ingrid reagierte nicht, sondern las den Quatsch auf der Rückseite des Bierdeckels.
     
    Ich kam mit einer Portion Rührei mit Speck und Bratkartoffeln zurück, dazu zwei Bratwürsten und einem Glas Orangensaft. Nachdem ich das Tablett abgestellt hatte, nahm ich einen letzten Zug von der Zigarette, bevor ich sie ausdrückte.
    Ingrid gaffte auf meinen Teller. »Das hat total viele Kalorien«, murmelte sie.
    »Kalorien sind egal«, sagte ich und schob mir eine Gabel mit Ei und Speck in

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