Nachtleben
Ich habe Magenschmerzen«, sagte ich.
»Was?«, fragte Flavio, der gerade zurück in den Wagen gekrochen war. »Hast du gesagt, dass du nach Hause willst? Spinnst du?«
»Ach, du musst ja auch noch zu deiner Familie«, sagte Anna und sah auf die Uhr.
»Oh!«, Flavio lehnte sich nach vorne und stützte sich mit dem Arm auf dem Beifahrersitz ab. »Wieder ’ne Familienfeier, Rick?«
Anna bemerkte wohl den Unterton und sah Flavio im Rückspiegel an, sagte aber nichts.
Wir brachten den Wagen zurück, und nachdem uns Herr Bischoff Annas Ausweis zurückgegeben hatte, versicherten wir ihm, dass wir uns im Laufe der Woche entscheiden und gegebenenfalls melden würden.
Schließlich standen wir mit Annas Auto wieder vor meinem Haus.
»Danke fürs Fahren«, sagte ich und schnallte mich ab.
»Hat Spaß gemacht«, sagte Anna. »Wollen wir noch einen Kaffee trinken oder eine Kleinigkeit essen?«
»Wie spät ist es?«, wollte ich wissen.
|219| »Kurz nach zwei.«
»Bei meiner Familie gibt’s was zu essen.«
»Kaffee?«
»Nee. Lass mal«, antwortete ich.
Nach einer kurzen Pause wiederholte sie tonlos: »Lass mal?«
Der Geschmack der Pommes kam wieder hoch. Weil es kein Viertürer war, konnte Flavio nicht aussteigen und saß schweigend auf dem Rücksitz.
»Meine Telefonnummer willst du auch nicht, oder?«, fragte Anna.
»Ich habe die nächsten Wochen immer so viel um die Ohren, weißt du?«
»Familienfeiern, hm?«, fragte Anna.
Ich starrte auf ein ausgeblichenes Plakat für ein türkisches Konzert, das an einem Stromkasten klebte.
»Schon in Ordnung«, sagte sie. »Habe ja auch nichts anderes erwartet.«
Bevor ich ausstieg, warf ich ihr noch einen flüchtigen Blick zu und klopfte anschließend dreimal aufs Autodach. Noch während des Klopfens bemerkte ich, wie unsinnig diese Geste war.
»Dann wünsche ich noch ein entspanntes Restwochenende«, sagte Flavio und klappte den Beifahrersitz nach vorne. »Grüß mal deine Freundin von mir und sag ihr, dass ich echt nicht so übel betrunken war, wie sie dachte, ja?«
Damit schlug er die Tür zu, lehnte sich durchs Fenster ins Auto und sah Anna an, als würde er auf eine Antwort warten, aber sie reagierte nicht.
»Du bist echt mal bescheuert«, sagte Flavio, als sich der Wagen entfernte. »Warum hast du die Braut denn gerade so blöd abserviert? Wie cool war die denn bitte?« Den Kopf schüttelnd, fügte er leiser hinzu: »Und rasiert, Alter.«
»Keinen Bock auf Beziehungsstress«, antwortete ich, während |220| ich in meiner Hosentasche nach dem Haustürschlüssel kramte. »Das gibt doch nur Ärger, wenn sie sich dann richtig verliebt.«
»Ja, genau«, murmelte Flavio. »Wenn
sie
sich verliebt, ne?«
|221| Dezember 2001
Weihnachtslieder von Johnny Cash quollen aus den Boxen wie Zuckerguss. Während ich Glühwein aus dem Tetrapack in einen Topf kippte, hockte Merle neben mir und warf einen Blick durch die schmierige Scheibe des Ofens auf die Kekse.
»Ich habe keine Ahnung, ob die Dinger jetzt schon braun sind, oder ob das nur so wirkt, weil die Scheibe so dreckig ist. Vorsicht!« Heiße Luft schlug mir entgegen, als sie die Klappe öffnete. »Nee, müssen noch ein bisschen. Wollen wir doch schon mal Bescherung machen?«
»Joah«, sagte ich.
Merle setzte sich, griff in ihre Jacke, die über dem Küchenstuhl hing, und holte ein in rotes Geschenkpapier gewickeltes Etwas von der Größe einer Zigarette heraus.
»So was haste hoffentlich noch nicht«, sagte sie und legte es auf den Tisch.
»Mit dem Ding kannste niemals gegen mich anstinken«, sagte ich grinsend.
»Wetten?«
»Keine Chance.« Damit verschwand ich und kam mit drei stokelig in Zeitungspapier gewickelten Geschenken zurück, bei denen schon an der Form zu erkennen war, worum es sich handelte.
»Na«, sagte Merle, »also spannend sind die schon mal nicht. Buch, CD und ’ne Flasche Alkohol.«
»Calvados.«
»Seit wann trinkst du denn Calvados? Ich dachte, es muss Whiskey sein.«
»Das ist ja auch für dich«, sagte ich.
|222| Nachdem ich den Glühwein auf dem Herd noch einmal umgerührt hatte, setzte ich mich ihr gegenüber.
»Wer packt zuerst aus?«, fragte sie.
»Mach mal«, sagte ich, und sie riss das Papier von der CD.
»Französische Schlager der dreißiger und vierziger Jahre?«, fragte sie und runzelte die Stirn. »Jetzt übertreibst du aber ein bisschen.«
»Das ist der Soundtrack zum Buch«, erklärte ich, worauf sie sich das Buch schnappte und es auspackte.
»Remarque«,
Weitere Kostenlose Bücher