Nachtmahl im Paradies
aber es war ihm egal. Was kümmerte es ihn? Im Gegenteil: Jacques’ Verstand war voll und ganz mit der Frage beschäftigt, ob Gustave und Catherine möglicherweise gar unter einer Decke steckten. Hatte sie ihn geschmiert? Würde Gustave – sein alter, ihm angeblich treu ergebener Freund – ihn tatsächlich an eine impertinente, reiche Amerikanerin verraten, die aus seinem geliebten Paris im Handumdrehen eine Burgerbude mit Franchise-Charakter machen würde?
»Wir setzen uns an die Bar, wenn es euch nichts ausmacht«, nahm Jacques das Heft in die Hand und ging vor zu dem kleinen Tresen, der ursprünglich einmal für Gäste gedacht war, die bei einem Gläschen Champagner auf ihren Tisch warteten. In diesen Tagen war er jedoch völlig verwaist, da niemand mehr auf einen Tisch warten musste.
Während Gustave Catherine galant einen der schon leicht klapprigen Hocker heranzog und sich neben sie setzte, öffnete Jacques auf der anderen Seite des Tresens eine Flasche Bordeaux.
»Und für Sie, Mademoiselle? Eine Cola?«, fragte er betont desinteressiert, während er sich ungeniert von dem Hauswein einschenkte und Gustave ein alkoholfreies Bier hinstellte. Zu gern hätte er ihr Gesicht gesehen, aber dazu hätte er das schwer kontrollierbare Risiko eingehen müssen, ihr in die Augen zu blicken – was wiederum gesteigertes Interesse signalisiert hätte. Nein, er musste nun klug agieren, damit diese Person ohne viel Wind in Kürze wieder aus seinem Restaurant und damit aus seinem Leben verschwand. Aber er hatte die Rechnung ohne sie gemacht.
»Nein«, flötete Catherine übertrieben freundlich in Anbetracht seiner Eröffnung. »Ich hätte gern eine Flasche … sagen wir eine Grand Cru? Wie wär’s mit einer Château Pétrus, Jahrgang neunzig? Was ich nicht austrinken kann, lasse ich für zu Hause … für die Hotel, meine ich, einpacken.«
»Die finanziellen Mittel dazu hat sie, glaub mir, mein Freund!«, prustete Gustave begeistert los und stieß seine Flasche fordernd gegen Jacques’ Weinglas.
Impossible! Woher hatte sie dieses Wissen? Zielsicher hatte sie sich einen Jahrgang ausgesucht, den nicht einmal Jacques in seinem ihm mehr als heiligen Keller vorrätig hatte – nicht mehr jedenfalls. Einhundert Punkte vom Weinpapst Robert Parker, das war die nahezu nie vergebene Höchstwertung. Wenn Jacques sich nicht täuschte, lag der Marktwert einer Flasche Château Pétrus dieses Jahrgangs momentan deutlich über dreitausend Euro – im Restaurant natürlich entsprechend höher. Es war ihm mehr als peinlich, aber er musste tatsächlich passen.
»Ah, eine exzellente Wahl, Mademoiselle « , säuselte er notgedrungen in ihr zugegeben hübsches und zu seiner größten Überraschung noch immer freundliches Gesicht. Natürlich nur, um Zeit zu gewinnen für seinen nächsten Schlag. »Aber Weine dieser Kategorie … Sie müssen verstehen … werden hier nur unter guten Freunden gehandelt.«
»Und das sind wir nicht, gute Freunde?« Sie legte ihr Köpfchen, das von seidigem, in der Sonne glänzendem Kupfergarn eingerahmt wurde, erwartungsvoll schief – als erwarte sie tatsächlich jeden Moment eine umfassende Liebeserklärung von ihm.
»Nein, da … muss ich Sie leider enttäuschen, Mademoiselle.«
Er war nicht besonders charmant, das war ihm klar. Aber der Zweck heiligte nun einmal die Mittel. Gustave jedoch schien das anders zu sehen. Mit einem für sein Alter übertrieben sportlichen, fast schon pathetischen Satz sprang er von seinem Hocker und eilte auf die andere Seite des Tresens. Ehe Jacques es sich versah, postierte sich Gustave hinter seinem Rücken und legte ihm seine Pranken väterlich auf die Schultern. Wie sein Gesicht dabei aussah, konnte Jacques sich lebhaft vorstellen: wie das eines Staubsaugervertreters, der seiner potenziellen Kundin einen Staubsauger im Sonderangebot aufzudrängen versuchte.
»Liebste Catherine«, legte Gustave mit seiner Vertreterarie los, »bitte, bitte glauben Sie mir: Dieser Mann hier – Jacques! – ist ein großartiger Freund, ein großartiger Koch und, auch wenn es im Moment nicht so aussehen mag, ein großartiger Mensch! Es ist nur so, dass … nun ja, seine Frau ist vor kurzem gestorben.«
Nun war er wirklich zu weit gegangen. Unwirsch befreite Jacques sich aus dem Griff des schleimigen Staubsaugervertreters.
»Oh, das mir tut leid.« Catherine wirkte ehrlich getroffen, fast als wäre es ihre Frau gewesen. Für einen Moment wurde sie ganz blass um die Nase. »Es mir tut sogar
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