Nachtmahl im Paradies
dorthin gelangen sollte. Aber wer konnte schon um die Ecke sehen? So zumindest pflegte Gustave es immer zu formulieren, und wahrscheinlich hatte er recht damit.
Erst jetzt bemerkte er, dass Catherine ihn angestrengt musterte, als versuche sie, das Geheimnis zu ergründen, das sich hinter seiner Stirn versteckte. Welches Geheimnis das auch immer sein mochte.
»Na, hast du schon eine Entscheidung getroffen?«
»Worüber?«, fragte er und setzte eine ahnungslose Miene auf. Denn er war in der Tat ahnungslos.
»Ob unsere Restaurant in die Zukunft Paris heißen soll oder wieder Paradies ? Ich bin mir nicht sicher … du musst das entscheiden.«
Jacques hatte gehofft, sie möge ihm für die Beantwortung dieser Frage noch ein paar Tage oder Wochen Zeit einräumen. Aber Catherine war nun einmal, was sie war: ein Wirbelwind!
»Ich … möchte zuerst noch jemanden dazu befragen«, erbat er sich zumindest einen kleinen Aufschub.
»Du meinst Gustave und Patrice?«
»Nein. Ich meine … einen anderen Menschen. Einen Menschen, den ich sehr lieb … Den ich sehr schätze, wollte ich sagen.«
Catherine blickte ihn an, als ahne sie, dass etwas im Busch war. Die Zeit, die sie hier verbracht hatte, war verschwindend gering, aber sie war sicher ausreichend, um festzustellen, dass es abgesehen von Gustave und Patrice keinen engen Vertrauten in seinem Leben gab. Oder etwa doch?
»Morgen früh, in Ordnung?«
»In Ordnung«, erwiderte Catherine. Sie wirkte ein wenig traurig. So als hätte sie soeben herausgefunden, dass ein Mann, für den sie Sympathien hegte, ein Verhältnis mit einer anderen Frau hatte.
Und er? Wie fühlte er sich? Ertappt? Er wusste es nicht. Er war nur ein Mann. Und er war verwirrt. So viel stand fest, nicht mehr und nicht weniger.
»Also: Wie geht es nun weiter?« Catherines Miene schien sich ein wenig aufzuhellen in Anbetracht all der spannenden Entwicklungen, die ihnen in nächster Zeit ins Haus standen.
»Wir werden sehen. Es ist nur so, dass …« Jacques druckste ein wenig herum, da es ihm schwerfiel, sie zu enttäuschen. Schließlich hatte sie ihn und sein Restaurant vor dem freien Fall ins Nichts gerettet. Vorerst jedenfalls.
»Nun, ich bin mir nicht sicher, ob ich als Koch noch gut genug bin, um uns den Stern zurückzuholen.«
»Ach, Jacques, darum geht es doch gar nicht, oder?«
Er stutzte.
»Nein? Worum geht es denn dann?«
»Es soll schmecken! Die Michelin-Stern hin oder her!«, trompetete sie, und sofort waren ihre Augen von einem schwärmerischen Glanz erleuchtet. »Und das Leben soll auch wieder schmecken! Bist du dabei?«
Es war unglaublich: Es klang beinahe, als wäre sie bei ihm eingestiegen, nur um ihn zu therapieren. Um ihn wieder glücklich zu machen und von seiner traurigen Vergangenheit zu erlösen. Aber warum tat eine Frau von der anderen Seite des großen Teichs so etwas, noch dazu für einen Mann, den sie überhaupt nicht kannte? Oder, langsam schlich sich der Gedanke in seinen Kopf, meinte sie mit »und das Leben soll auch wieder schmecken« vielleicht gar nicht ihn, jedenfalls nicht nur ihn, sondern möglicherweise … sich selbst? Es war die einzige Erklärung, die für ihn irgendeinen Sinn ergab. Dass sie beide auf einer ganz ähnlichen Reise unterwegs waren. Dass nicht er bei Catherine auf der Couch lag, sondern sie beide nebeneinander. Dass sie, zwei Alleinreisende unterwegs, zufällig oder vom Schicksal gesteuert, sich an einer menschenleeren Kreuzung begegnet waren, irgendwo zwischen Land und Meer, in diesem schmalen Streifen Normandie, um den Rest ihres Weges gemeinsam zurückzulegen.
»Dann auf das Leben!«, erwiderte Jacques und tat, als erhebe er ein unsichtbares Glas.
Sie machte es ihm nach.
»Kling!«
»Kling!«
Schon stießen die imaginären Gläser aneinander, das dunkle »Kling« aus seinem und das helle aus ihrem Mund waren kaum verhallt.
»Übrigens, ich habe eine Cottage gemietet, eine wunderschöne alte Steinhaus ganz in der Nähe von die Paris . Es hat eine riesige Gemüsegarten. Wenn du willst, kommst du mich besuchen, ja? Vielleicht heute Abend zum Dinner?«
»Heute Abend?« Jacques überlegte kurz. »Oh, das tut mir leid. Heute geht es leider nicht, ich muss noch … etwas erledigen … aber später in der Woche sehr gerne!«
Er hoffte, dass Catherine nicht näher nachhakte. Heute Abend wollte er die sturmfreie Bude nutzen und nicht erst um Mitternacht am Herd stehen, um aus Ellis Buch zu kochen. Dann würde er am nächsten Morgen auch nicht
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