Nachtmahl im Paradies
schlafen können.«
Was wusste sie schon von seinen Geistern der Vergangenheit? Er wollte alles andere, als dass sie ruhten. In all den Jahren nach Ellis Tod war er nicht mehr so glücklich gewesen wie in diesen Tagen. Gemessen an einer Glücksskala mit einer Eins für den schwächsten und einer Zehn für den höchsten Wert – das vollkommene Glück –, hatte er sich all die Zeit über irgendwo zwischen eins und zwei bewegt. Und nun, er würde sagen: eine glatte Neun. Allein das Wissen darum, dass Ellis Besuche kurz waren und nicht garantiert, verhinderte die Höchstwertung. Nein, er wollte nicht, dass die Geister der Vergangenheit ruhten. Um keinen Preis der Welt.
»Ich weiß, Vergangenheitsbewältigung ist wichtig«, entgegnete er. »Aber meistens behaupten das Menschen, die selbst nicht viel Vergangenheit zu bewältigen haben, oder?«
Catherine schaute ihn an, als hätte er soeben etwas äußerst Befremdliches gesagt. »Nun, du magst recht haben … oder auch nicht«, erwiderte sie und wirkte ein kleines bisschen eingeschnappt. »Wir sehen uns«, sagte sie dann und hauchte ihm zum Abschied einen übertrieben kühlen Kuss auf die Wange.
»Ach, übrigens: Hast du schon deine Freund oder … Freundin … wegen die Schild gefragt?« Sie wirkte ein wenig ungeduldig – und ein bisschen verloren, wie sie so dastand, mit ihrer Sporttasche in der Hand und der aufgerollten Yoga-Matte unter dem Arm.
»Ich sehe … sie … heute Abend«, entgegnete er ein wenig verwirrt. Hoffentlich, dachte er. Elli schuldete ihm noch Hauptgang und Dessert.
»Gut, wir müssen ein wenig auf die Tempo drücken, damit die Schild rechtzeitig für die Eröffnung fertig ist, ja?«
Er nickte.
Nachdem er kurz nach ihr durch das Portal an die frische Luft getreten war, hörte er Patrice hinter sich rufen.
»Jacques!«
Er drehte sich um und wartete auf seinen Freund, der offenbar noch in den anderen Veranstaltungsräumen nachgesehen hatte, ob irgendwo einsame Frauen auf ihn warteten – nachdem er bei Catherine offensichtlich nicht hatte landen können.
»Rein zufällig habe ich vorhin ein paar Fetzen eures Gesprächs auf dem Flur aufgeschnappt.«
»Du hast uns belauscht?«
»Natürlich, dafür sind Freunde da«, erwiderte Patrice gelassen und klopfte Jacques auf die Schulter, während er Catherine zuwinkte, die mit ihrem überdimensionierten britischen Wallach vom Parkplatz galoppierte.
Jacques schüttelte verständnislos den Kopf in Anbetracht der lässigen Nonchalance, mit der Patrice sein Fehlverhalten als völlig korrekt klassifizierte.
»Wie dem auch sei, als Freund rate ich dir, sie nicht zu hart ranzunehmen.«
»Wovon sprichst du?«
»Vom Thema Vergangenheitsbewältigung.«
»Ja, und?«
»Jacques, ich werde dir jetzt mal eine kleine Geschichte erzählen«, begann er, als wären sie bei einer Märchenstunde.
Jacques fragte sich, was das nun wieder sollte.
»Es war einmal ein erfolgreiches französisches Restaurant in New York«, fuhr Patrice unbeirrt fort. »Die beiden Inhaber des Restaurants, die nebenbei glücklich miteinander verheiratet waren, hatten einen Traum: Sie wollten ein französisches Restaurant in Frankreich eröffnen. In Frankreich leben. Zusammen in Frankreich alt werden. Also verkauften sie ihr Restaurant in New York und bereiteten die ganze Sache vor. Eines Morgens, kurz vor ihrer Abreise nach Europa, wird der Mann nur wenige Meter vor seiner Wohnung überfahren. Von einem Lastwagenfahrer, der eine rote Ampel missachtet. Mitten in Manhattan. Er ist sofort tot. Was also macht die Frau, die auf gepackten Koffern sitzt? Sie beerdigt ihn, den Koch des französischen Restaurants und die Liebe ihres Lebens, und macht sich allein auf den Weg nach Frankreich. Um den Traum, den sie zu zweit hatten realisieren wollen, allein zu Ende zu bringen. Tja, jetzt ist sie hier und dabei, diesen Traum wahr zu machen. Um es kurz zu machen: Auch Catherine hat eine Vergangenheit, mein Freund.«
Oh Gott. Jacques wäre am liebsten an Ort und Stelle im Erdboden versunken. Er schämte sich so.
»Du wusstest es die ganze Zeit?«
»Sie hat es Gustave erzählt. Aber sie wollte ausdrücklich nicht, dass du davon erfährst.«
Jacques spürte, wie das Herz mit dem Loch in seiner Brust aus dem Rhythmus geriet. Wie hatte er nur so egozentrisch sein können, ausschließlich auf sich und seine Probleme konzentriert, als wäre er der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der zu leiden hatte?
»Darf ich dich etwas fragen, Patrice?« Er
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