Nachtmahl im Paradies
vor sich. Ein deprimierendes Bild, das den Turnhallenmief seiner längst vergangenen Schulzeit mit einer Gruppenaufnahme ins Alter gekommener Yogis, Öko-Aktivisten und Oberlehrerinnen mit fusseligem, langem rotgrünem Haar verband. Allein Catherine wollte nicht in dieses Bild passen – er hatte keine Ahnung gehabt, dass sie fernöstliche Entspannungstechniken praktizierte. Erst recht nicht, dass sie – kaum hier angekommen – neben ihrer Karriere als Restaurantinhaberin gleich auch noch als Sportlehrerin durchstartete. Die Frau hatte eine Energie, mit der sie im Winter vermutlich ganz Trouville inklusive der Nachbargemeinden würde heizen können.
»Nein, danke«, sagte er nach kurzer, aber reiflicher Überlegung. »Trotzdem nett, dass du an mich gedacht hast.«
»Immer wieder gerne. Vielleicht überlegst du es dir ja noch mal. Yoga ist sehr gesund, und Catherine gibt den Kurs zum ersten Mal. Sie braucht dringend unsere Unterstützung, damit sich die Sache herumspricht.«
»Danke, Patrice. Ich leg jetzt auf, ja?«
Gesagt, getan.
An Schlafen war nun nicht mehr zu denken. Schwerfällig schleppte sich Jacques unter die Dusche, um einen klaren Kopf zu bekommen. Seine Gedanken kreisten um das, was Elli am Abend zu ihm gesagt hatte. War er wirklich in einen Eimer mit dunkler Farbe gefallen? Ein ganz in Schwarz gekleideter Pessimist? Jemand, der für nichts zu begeistern war? Nein, ganz entschieden nein! So war er nun wirklich nicht. Dieser Yoga-Kurs – was hatte Patrice noch mal gesagt? Wann fing er an? Um sieben. Nun, bis dahin war noch etwas Zeit. Er musste ja nicht gleich mit den anderen auf die Matte gehen – nein, kurz die Nase zeigen, demonstrieren, dass man guten Willen hatte und schnell reinschaute, das war doch schon etwas! Darauf ließ sich aufbauen.
Der unwiderstehlich reizvolle Gedanke zu kneifen und Reißaus zu nehmen, hätte Jacques auf den letzten Metern um ein Haar überwältigt. Aus einem der Räume, die auf seinem Weg lagen – es war bereits kurz nach sieben –, drang die hölzerne Stimme einer Blockflöte, auf der jemand die Tonleiter rauf und runter spielte. Es war, wie er befürchtet hatte. Möglicherweise sogar schlimmer. Er war drauf und dran zu gehen. Doch schließlich gab er sich einen Ruck.
Zwei Türen weiter fiel sein Blick auf einen weißen Zettel, der mit Tesafilm auf Augenhöhe befestigt war:
» Hatha Yoga mit Catherine Wolfe (New York). Männer und Frauen willkommen!«
Natürlich hatte er ihren Nachnamen bereits gelesen, als er die Papiere unterschrieben hatte. Aber erst jetzt wurde ihm richtig klar, was er bedeutete. Seine neue Geschäftspartnerin stammte aus einer Familie von Wölfen! Zufall – oder wollte das Schicksal ihm damit irgendetwas sagen? Ihn möglicherweise warnen? Erneut meldeten sich seine Fluchtinstinkte.
So leise wie möglich, um die Aufmerksamkeit nicht sofort auf sich zu lenken, öffnete Jacques die Tür und spähte in den Raum. Da war sie schon – in einem ärmellosen weißen Top und seidig glänzenden blassrosafarbenen Shorts saß Catherine kerzengerade, Schultern nach hinten, Brust nach vorne, im Lotussitz auf einer dieser zusammenrollbaren Yoga-Matten. Der Unterricht hatte offensichtlich bereits begonnen.
»Nun machen wir eine Blasebalg«, ordnete sie an. »So wie eine … wie sagt man … eine Schmied? Wie eine Schmied seine Blasebalg rasch auf und ab bewegt, so bewegen wir unsere Atem.«
Jacques spähte in den Raum, der dummerweise um die Ecke verlief. Auf diese Weise konnte er nur sie sehen, sich jedoch nicht das geringste Bild machen, was für Leute an dem Kurs teilnahmen. Am Ende war Patrice gar nicht gekommen, was ihm durchaus ähnlich sähe, und er, Jacques, wäre mutterseelenallein einer Horde Weltverbesserer aus allen Teilen der Normandie ausgeliefert.
»Oh, Jacques, hallo. Das ist schön, dass du gekommen bist!«
Der böse Wolf hatte ihn entdeckt. Nun gab es kein Zurück mehr.
Vorsichtshalber hatte er abgesehen von den alten blauen Converse-Sneakers, die er bereits an den Füßen trug, keine Sportbekleidung mitgebracht – und über eine Yoga-Matte verfügte er ohnehin nicht. Wie in Zeitlupe trat er in den Raum und schloss die Tür hinter sich, insgeheim in der Hoffnung, ihm könne in letzter Sekunde doch noch überraschend die Flucht gelingen.
»Wir machen gerade eine Atemübung zur Einführung«, erklärte sie. »Das hilft unter anderem, Knoten in die Herzchakra zu lösen.«
»Aha!«, sagte er und setzte eine beeindruckte Miene
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