Nachtmahl im Paradies
war eindeutig sie. Sie trug ein weißes Sommerkleid, genau wie beim letzten Mal.
»Elli!«, rief er hinunter zu ihr.
Aber sie schien ihn nicht zu hören. Jacques nahm die Beine in die Hand, als gelte es, die französische Meisterschaft im Treppensteigen, in der Kategorie bergab, für sich zu entscheiden. Um ein Haar hätte er sich das Genick gebrochen, als er versuchte, die schmale Leiter zurück auf den Dachboden in einem einzigen Satz zu nehmen. Wie ein Irrer polterte er in die Wohnung, ließ das menschenleere Restaurant links liegen, stieß die Tür auf, die hinaus in den Garten führte, und steuerte, indem er Töpfe und Beete überwand wie ein Hürdenläufer, auf Elli zu.
Gott sei Dank – sie hatte sich nicht in Luft aufgelöst! Seelenruhig stand sie da, ihm den zart gebräunten Rücken zugewandt, und fütterte Pferd und Esel mit einem Strauß Löwenzahn, den sie am Rande des Gatters gepflückt hatte. Jacques war erstaunt, wie viel Energie in seinem sonst so schlaffen Körper steckte – ohne schwerwiegende Probleme mit der Atmung spurtete er auf sie zu. Nur noch wenige Meter trennten sie voneinander, als er plötzlich bemerkte, dass … Hatte sie ihr Haar gefärbt? Es war kupferrot und hinten zu einem Zopf zusammengebunden. Erst jetzt schien sie registriert zu haben, dass sich ihr jemand im Laufschritt näherte. Erschrocken fuhr ihr Kopf herum, während im selben Augenblick das kleine Bündel Wildblumen ihren Fingern entglitt.
»Jacques!«
»Ell… Catherine?«
Erleichtert atmete sie aus und legte die Hand auf ihr Brustbein.
»Meine Güte, hast du mich erschreckt, Jacques. Wieso … rennst du so … um Himmels willen?«
»Ich … ich dachte …«
»… dass ich eine Einbrecher bin?« Catherine schüttelte den Kopf. »Oder dass ich die riesige Schild an die Eingang nicht gesehen habe, auf die steht ›Vorübergehend geschlossen‹?«
Jacques stemmte die Arme in die Hüften. Nun merkte er doch, dass er ganz schön außer Atem war.
»Nein, ich … ich weiß auch nicht, was ich gedacht habe. Aber warum …?«
»Ich bin hier, um Pferd und Esel gute Nacht zu sagen, die beiden sind jetzt meine Freunde. Du musst wissen, Jacques, die Paris liegt genau auf dem Weg aus der Stadt zu meine neue Haus, in die ich gerade einziehe. «
Nachdem der Esel sie mit seiner Schnauze wieder und wieder angestupst hatte, drehte sie sich schließlich zu dem Tier um, um ihm zärtlich über die Nase zu streicheln.
»Wusstest du, dass die kleine Esel eine Sprachfehler hat?« Catherine sagte es, während sie liebevoll den Esel anblickte, ohne mit dem Streicheln aufzuhören.
Jacques nickte.
»Sie sagt immer nur I-i-i-i. Aber das macht nichts, kleine Esel. Ich werde dir beibringen, auch eine A zu sagen. Wir brauchen nur etwas Geduld, dann schaffen wir es schon.« Zur Ermunterung hauchte sie dem Esel am Gatter einen Kuss auf die Nase.
Das Pferd stand in stiller Ehrfurcht daneben und verfolgte die Prozedur mit besorgtem Blick – vergleichbar dem Ehepartner eines Patienten, der ängstlich der Diagnose seines Arztes harrt.
»Ich befürchte, das ist aussichtslos«, räumte Jacques ein.
»Nein, nichts ist aussichtslos«, widersprach ihm Catherine.
Nun meinte auch der Esel etwas beitragen zu müssen und stimmte sein typisches I-i-i-i an. Jacques versuchte herauszuhören, wem von ihnen beiden er damit zustimmen wollte: Catherine oder ihm. Es war schwer zu sagen.
»Aaaa!«, schloss Catherine die unvollständige Wortmeldung in korrekter Langohrengrammatik ab. »So, gleich noch mal, kleine Esel. Übung macht die Meister.«
Als hätte er sie verstanden, wiederholte der Esel, der sich nunmehr ohne jeden Zweifel auf ihre Seite zu schlagen schien, die Sprachübung:
»I-i-i-i …« Er stockte und schaute sie dann fragend, um nicht zu sagen ratlos an.
»Aaaa!« So schnell gab sie nicht auf.
Im Gegensatz zu ihrem Schüler, der – nunmehr offensichtlich überfordert von den hohen Anforderungen, die ihm gestellt wurden – ungeduldig mit den Vorderhufen zu scharren und empört zu schnauben begann. Letzteres im Duett mit Jacques, der ebenfalls noch schnaufte, um wieder vollständig zu Atem zu kommen.
»Aber ja, das war schon sehr gut, kleine Esel!«, lobte Catherine. »Morgen üben wir weiter, ja?«
Dann wandte sie sich an das Pferd.
»Und du, mach dir keine Sorgen. Schon bald wird deine kleine Freund hier ganz normal sprechen können wie alle andere Esel auch, ja? Versprochen. Dann könnt ihr reden, worüber ihr wollt.«
Jacques
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