Nachtmahl im Paradies
Plastikhaut eines Regenmantels.
Alles, was einem im Leben widerfuhr, war gut, es war sogar traumhaft gut, großartig und wunderbar. Alles führte einen ans Licht. Sogar die Katastrophen. Man benötigte lediglich die richtige spirituelle Einstellung, mit der man wie mit einem Schlagstock auf die offenen Fragen einschlagen konnte, die einen quälten – lächelnd versteht sich. So lange, bis sie endlich Ruhe gaben. Bis Schmerz und Zweifel endgültig verstummten.
Wie eine Giraffe reckte Catherine den Kopf selbst über die dunkelsten Gewitterwolken, um auch ja sicherzustellen, dass sie vom Leben nur blauen Schönwetterhimmel geboten bekam. Er wollte keineswegs behaupten, dass seine Strategie – den Kopf in den Sand zu stecken wie ein Strauß in der Wüste, bis der Sturm vorüber war – besser war als die der Giraffe. Doch mit jeder Minute, die er mit Catherine verbrachte, glaubte er tiefer in ihr Herz blicken zu können. Und wenn er sich nicht vollkommen täuschte, war es nicht weniger verwundet als seines.
Einen Moment verharrten die Weingläser unschlüssig und erstarrt im freien Luftraum, bis sie sich schließlich doch einander näherten und sich leise berührten.
»Ist die Musik richtig?«, fragte er schnell, um das Thema zu wechseln.
Catherine nickte, aber irgendwie wirkte sie traurig, während sie sich mit der Hand den Duft des auf ihrem Teller wartenden Hähnchens zuwedelte wie mit einem Fächer.
»Hmmm!«, lobte sie seine Kochkünste – oder den guten Musikgeschmack des Radio-DJs. Oder beides. Er war sich nicht sicher. »Ich liebe Lionel Richie. Vor allem diese Song, » Hello «. Kennst du sie?«
Natürlich kannte er den Song. Er mochte hinterm Berg leben, aber gewiss nicht hinter dem Mond. Selbst der Mars war kein Neuland mehr für ihn – jedenfalls nicht der, der auf den Vornamen Brüno hörte.
» Hello, is this me you’re looking for «, summte sie leise mit.
Er mochte ihre Stimme. Wenn sie sang, klang sie, als wäre sie wieder ein kleines verträumtes Mädchen, an dessen Zimmertür Posters von Popstars klebten.
Vorsichtig pikste sie mit der Gabel in das zarte Fleisch, um sie daraufhin nur mit einer winzigen Portion beladen zum Mund zu führen.
»Eigentlich esse ich nicht mehr als ein- oder zweimal Fleisch im Monat, und nun ist es schon die zweite Mal in nur wenige Tage …« Ihre Stimme klang auf einmal brüchig. »Jacques, die französische Küche ist einfach zu verführerisch.«
Er hoffte inständig, dass sie damit in erster Linie das Hähnchen meinte und nicht das Abendessen bei McDonald’s. Doch noch bevor er den Gedanken zu Ende führen konnte, wurde er abrupt unterbrochen.
Ohne weitere Vorwarnung füllten sich Catherines Augen mit Tränen. Sie flossen ihre Wangen hinab.
»Aber das ist doch kein Grund zum Weinen!«, versuchte er sie zu beruhigen. In Ermangelung eines Taschentuchs reichte er ihr die gebügelte weiße Serviette, die unberührt neben seinem Teller lag. Was sollte er jetzt tun? Er war ein Mann!
Er betete, dass Elli erscheinen und ihm zu Hilfe kommen mochte.
»Entschuldige, Jacques. Das war unsere Song«, schluchzte sie.
Es war die Musik!
Er sprang von seinem Stuhl auf.
»Kein Problem: Ich mache es sofort aus.«
»Nein! Bitte nicht!«
Über den Tisch hinweg ergriff sie seinen Arm.
»Ich höre es gern. Zu gern … Ich dachte nur, ich könnte besser damit umgehen, es tut mir leid.«
»Das muss dir nicht leidtun, wirklich nicht«, versuchte er sie zu beruhigen.
Nun kam es also auf den Tisch, nicht als Vorspeise, nicht als Dessert, sondern zeitgleich mit dem dampfenden Coq au Vin auf den Tellern vor ihnen: Christian war der Name des Mannes, dessen Foto am Kühlschrank klebte und der Frankreichs bestem Tennisspieler in jungen Jahren so sehr geähnelt hatte. Genau wie Henri Leconte konnte man auch Christian, der etwa im selben Alter wie Catherine und damit einen ordentlichen Schlag jünger als er selbst gewesen sein musste, mit Fug und Recht als einen französischen Exportschlager bezeichnen. Doch das Spielfeld, das er sich ausgesucht hatte, waren die Kochtöpfe und Herdplatten New Yorks gewesen. Geboren und aufgewachsen in kleinen Verhältnissen in Clichy-sous-Bois, einem trostlosen Vorstadtghetto von Paris, ausgewandert als junger Mann und frischgebackener Koch, um die Welt zu erobern, hatte er es bis zum Souschef in der berühmten New Yorker Brasserie Les Halles gebracht. Dort wiederum hatte Catherine an einem verschneiten Dezemberabend mit Kollegen aus der Kanzlei,
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