Nachtmahl im Paradies
schleifen.«
Sie wussten beide, was sie damit meinte. Wenn er eine zweite Chance wollte, musste er seine guten Vorsätze in die Tat umsetzen und der Zukunft endlich Zutritt zu seinem Leben gewähren. Das Problem war: Um die Zukunft hereinbitten zu können, musste zunächst die Vergangenheit Platz machen. Sie musste weichen. Was Elli betraf, bedeutete das: Sosehr das Wiedersehen mit ihr und das gemeinsame Kochen dem Himmel glichen, so begrenzt war die Zeit, die ihnen noch blieb. Ob sie nun ein Engel war oder ein Hirngespinst, es machte keinen Unterschied: Kein Mensch konnte dauerhaft mit einem Engel zusammenleben. Und mit einem Hirngespinst erst recht nicht.
»Was ist, wenn ich den Nachtisch aus dem Büchlein zubereitet habe? Werden wir uns danach trotzdem wiedersehen?«
Er konnte es einfach nicht lassen. Er konnte einfach nicht loslassen. Sein Herz wollte nicht verstehen, was sein Kopf bereits verstanden hatte. Es kämpfte eine aussichtslose Schlacht. Und konnte doch nicht kapitulieren.
Elli schaute ihn traurig an. Das hieß wohl nein.
»Und wenn ich einfach wieder von vorn anfange?« In seiner Stimme lag ein leises Flehen.
»Jeder Mensch kann von vorn anfangen, Jacques. Das weißt du doch schon. Man braucht eine Prise Mut dafür und einen Schöpflöffel Kraft, aber es lohnt sich.«
Für einen Moment hielt Jacques den Atem an. Gab es vielleicht doch eine Chance? »Das klingt großartig!«, frohlockte er in angespannter Vorfreude.
»Allerdings gilt das nicht für das da«, ergänzte Elli und zeigte auf die aufgeschlagene rote Kladde neben dem Herd. »Für alles andere schon!«
Aus, basta!
Im Grunde war es ihm klar gewesen. Allein dass sie zu ihm zurückgekehrt war, dass sie hier und jetzt bei ihm war und sich mit ihm unterhielt, als wären sie beide quicklebendig und all das Unheil wäre nie über sie hereingebrochen, war ein Wunder des Himmels. Trotzdem war er nicht bei Wünsch dir was – so lief das Leben nun einmal nicht. Oder nur höchst selten.
»Was würdest du dir denn erbitten, wenn du einen Wunsch frei hättest?«, fragte Elli interessiert, während sie gekonnt den Fisch in der Pfanne wendete. »Einen einzigen Wunsch, den dir ein Engel möglicherweise erfüllen könnte und in dem der Engel selbst nicht vorkommt.«
»Du meinst, du könntest …?«
»Ja, das meine ich.«
Sollte das ein Scherz sein, oder meinte sie es wirklich ernst? Jacques versuchte Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Was wünschte er sich?
Elli schaute ihn an, als wüsste sie im Gegensatz zu ihm bereits die Antwort auf die Frage.
»Dir fällt wirklich nichts ein?«, fragte sie.
»Was? Was meinst du?« Jacques blickte um sich, als wäre die Antwort so offensichtlich wie ein knallgelbes Post-it, das auf dem Kühlschrank oder der Arbeitsplatte direkt vor seinen Augen klebte.
»Jacques! Dein Herz weiß es bereits, aber dein Kopf kann es wohl noch nicht richtig zuordnen.«
»Was zuordnen?«, entgegnete er, auf eine Eingebung wartend.
»Nun, eigentlich müsste es heißen wen «,fuhr Elli mit der Rätselstunde fort.
Das Durcheinander in Jacques’ Schädel verstärkte sich noch. Seine Gedanken flogen so wild durcheinander wie Sternenstaub bei einer Supernova.
»Catherine!« Elli verkündete es im Brustton der Überzeugung, als wäre ihm entfallen, welcher Buchstabe im Alphabet auf das A folgt.
»Catherine?«
Während er langsam ihren Namen aussprach, breitete sich wieder dieses merkwürdige Gefühl in seiner Magengegend aus. Es war nicht unangenehm – im Gegenteil! –, aber er hatte keine Ahnung, was es zu bedeuten hatte. Herrje, er war doch kein Teenager mehr!
Elli lachte. Es war dieses einzigartige Lachen, das er so viele Jahre hatte genießen dürfen und das die Welt innerhalb von Sekunden in einen besseren Ort verwandelte.
»Lass es zu, Jacques«, sagte sie.
Der Dampf aus der leise vor sich hin brutzelnden Pfanne schlug sich an dem großen, auf die Sommerwiesen hinausgehenden Küchenfenster im Paris nieder, während sich fast unbemerkt eine heilige Stille in den Raum schlich.
Catherine. Ja, er mochte sie. Auf ihre ganz eigene Weise war sie ihm sympathisch. Aber jemand, der sein Leben lang karamellisierte Walderdbeeren zum Nachtisch gewohnt war, konnte nicht aus heiterem Himmel zu flambierten Pfefferkirschen wechseln, einfach so. Oder etwa doch?
»Vielleicht spare ich mir den Nachtisch für später auf«, durchbrach er die Stille, bevor Elli es tun konnte und lenkte das Thema auf etwas anderes.
Elli schaute ihn
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