Nachtmahl im Paradies
keine Sorgen, sie kann mich nicht sehen.«
»Ja, Gott sei Dank«, antwortete er automatisch, um sich gleich darauf auf die Zunge zu beißen.
»Wieso Gott sei Dank?« Catherine legte den Kopf fragend schief.
»Ich meinte nur … Einen Moment hatte ich Angst, du wärst vielleicht im Garten verloren gegangen.«
Ihr Gesichtsausdruck signalisierte ihm, dass sie ihm diese aus dem Hut gezauberte Ausrede für sein merkwürdiges Verhalten nicht abnahm.
»Nein, wirklich. Im letzten Jahr wurde hier jemand entführt, ganz in der Nähe. Eine junge Frau. Am helllichten Tag. Beim Blumengießen.« Er versuchte seinen Worten so viel Nachdruck zu verleihen wie nur irgend möglich.
Elli verdrehte die Augen. Er war ein miserabler Schwindler, das wusste er selbst.
»Im Gegensatz zu diese Frau kann ich gut auf mich aufpassen, Jacques«, stellte Catherine unmissverständlich klar. »Wenn jemand kommt, um mich zu entführen, ersteche ich ihn hiermit!« Sie deutete auf die kleine Rosenschere, die sie in der behandschuhten Hand hielt.
»Gut, dann bin ich beruhigt«, erwiderte er, froh, dass die Sache damit fürs Erste erledigt schien. »Dann werde ich mich jetzt mal ans Kochen machen, ausgepackt habe ich ja bereits.«
»Ja, ich komme gleich nach und helfe dir, ja?«
»Das ist nicht nötig!«, wandte er ein, um die gerade wieder eingekehrte Ruhe im Haus nicht unnötig zu gefährden. Ihr fragender Blick jedoch signalisierte ihm, dass aus ihrem Munde gleich ein Warum? zu erwarten war – ein Wort, dem er lieber schnell zuvorkam. »Aber wenn du unbedingt willst: sehr gern natürlich! Du bist herzlich willkommen!«
»Prima, dann bis gleich.«
Zwei oder drei Sekunden lang starrte sie ihn noch an wie E. T., den Außerirdischen. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt. Erst nachdem ihre Schritte verklungen waren, wandte Jacques sich wieder Elli zu.
»Wir müssen vorsichtig sein, sonst denkt sie am Ende noch, ich wäre verrückt.«
»Ach, Jacques – mach dir deswegen keine Sorgen. Frauen mögen Männer, die ein bisschen verrückt sind.«
Ja, das hatte er auch schon gehört. Aber wo genau lag die Grenze zwischen ein bisschen verrückt und sehr verrückt?
Bevor er zu kochen anfing, musste er Elli einfach noch einmal umarmen. Schweigend erhob er sich von seinem Stuhl. Sie brauchte nur einen winzigen Schritt auf ihn zuzugehen, und schon berührten sie einander, sie schlang die Arme um seinen Hals, er seine um ihren. Sie verharrten schon ein Weilchen so zärtlich und eng umschlungen, als er bemerkte, dass Catherine im Garten vor dem raumhohen Fenster stand und ihn fragend anstarrte – die Gießkanne in der einen, die Rosenschere in der anderen Hand. Der Schreck fuhr ihm in die Glieder wie ein Stromschlag.
Auch Catherine stand da wie angewurzelt.
Er überlegte, wie diese Umarmung wohl für einen Menschen aussehen mochte, der nicht in der Lage war, Elli wahrzunehmen. Im besten Fall wie eine Balletttanzszene aus Schwanensee , hoffte er. Über die Alternativen wollte er lieber nicht nachdenken. Auf jeden Fall wäre es das Beste, sich sofort von dieser Pose zu verabschieden. Elli lächelte ihn an und gab ihm einen Stups auf die Nase, während er sich zügig von ihr löste.
»Auflockerungsübungen!«, rief er mit lauter Stimme Catherine durch die Glaswand zu. »Der neueste Trend unter französischen Köchen! So ähnlich wie Yoga.« Was für ein ausgemachter Unsinn!
Catherine schüttelte nur den Kopf, aber sie schien fürs Erste zufriedengestellt, denn sie fuhr damit fort, die edlen Formpflanzen links und rechts des Fensters zu bewässern. Damit war er noch immer unter Beobachtung. Schweigend machte er sich daran, den Rotwein aus der Schüssel mit dem Hähnchen abzugießen und aufzufangen, da er ihn später noch benötigen würde. Er tupfte das gut durchgezogene Fleisch mit Küchenpapier trocken und heizte den Herd an – einen ultramodernen gusseisernen Gasherd, der mindestens so viel gekostet haben musste wie das neue Knochendichtemessgerät von Patrice. Betont geschäftig begann er damit, den Speck in der Pfanne anzubraten und die Vollendung seines Werks in Angriff zu nehmen, das gut und gerne noch anderthalb Stunden dauern würde.
Elli stand stumm, aber offenbar belustigt von der eben beendeten Aufführung vor Publikum neben ihm und sah ihm bei der Arbeit zu. Sie reichte ihm dies und jenes, Knoblauch, Zwiebeln, Pilze, Karotten, Sellerie und so fort, während sie ihm zwischendurch immer wieder liebevoll mit der Hand über den Nacken fuhr.
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