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Nachtmahl im Paradies

Nachtmahl im Paradies

Titel: Nachtmahl im Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bennett Ben
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erklären, und es interessierte ihn auch nicht besonders. Ihre Stimme jedoch klang wie die Sirenen von Bagdad. Total überdreht. Möglicherweise war auch sie in den Unfall verwickelt und weniger glimpflich davongekommen als er selbst. Jedenfalls faselte sie wirres Zeug, wahrscheinlich war ihr irgendwas auf den Kopf gefallen. Hoffentlich nicht der ganze Range Rover, dachte Jacques, während er sich einem inneren Reflex folgend vergewisserte, dass die Fensterscheibe hochgekurbelt war.
    »Sind Sie heil, Monsieur? Sind Sie heil?«
    Was für eine Frage!
    »Oh, es geht Ihnen gut! Was bin ich glücklich.« Sie atmete theatralisch aus, indem sie die weiche Sommerluft dieses Morgens aus ihren Lungen gegen die Scheibe vor seiner Nase pustete. »Ich kann Sie … ich kann Sie … merde !«, fluchte sie fast richtig auf Französisch, während sie händeringend nach dem Wort suchte, das ihr partout nicht einfallen wollte.
    »Abschleppen?« Jetzt hatte sie es gefunden. »Ja, wenn Sie wollen, ich kann Sie abschleppen, Monsieur?«
    Jacques hob abwehrend die Hände. Abschleppen? Von dieser Frau würde er sich ganz bestimmt nicht abschleppen lassen! Bevor das geschah, würde er es vorziehen, für immer und bis in alle Ewigkeit in seiner goldenen Göttin in diesem Kornfeld zu verweilen und dabei langsam zu verhungern und zu verdursten. Eine Sekunde lang stellte er sich die Qualen dieses Ablebens vor – aber auch das romantische Bild, das ein solches Ende abgeben würde: ein Tod im Kornfeld. Sie würden ihn finden und sagen: »Jacques saß friedlich hinter dem Lenkrad seiner goldenen DS , umgeben von im sanften Wind wehenden Sommerähren. In dem Auto, in dem er etwa zehn Prozent mit seiner großen Liebe Elli verbracht hat. Genauso hat er gehen wollen, und nun hat Gott es so geschehen lassen! Bravo!«
    »Ich schleppe Sie ab!«
    Die Frau – offensichtlich Ausländerin, wenn nicht gar Engländerin oder, noch schlimmer, Amerikanerin – hämmerte energisch mit ihrer kleinen Faust gegen die Fensterscheibe an der Fahrertür, so als wäre er entweder taub oder bewusstlos oder hätte gar den Verstand verloren. Dabei saß er ganz normal in seinem Sitz. Er hatte den Rücken sogar kerzengerade durchgedrückt, damit sie sah, dass er ein Gentleman im vollen Besitz seiner Körperfunktionen war.
    »Nein!«, rief Jacques mit fester Stimme und verriegelte vorsichtshalber die Tür, bevor sie noch auf die Idee kam, ihn eigenhändig aus dem Auto zu ziehen.
    Sie schien eine dieser resoluten Frauen zu sein, die man hier in der Region gut kannte. Offenbar gab es die auch auf der anderen Seite des großen Teichs, und die Nachfrage hierzulande war so groß, dass man sie jetzt bereits importierte.
    »Nun gehen Sie schon!«, befahl er ihr durch die geschlossene Seitenscheibe.
    Die Frau sah ihn ungefähr eine Minute lang völlig perplex an, als wäre er ein Außerirdischer, der soeben in einem goldenen Oldtimer aus dem Himmel in ein Kornfeld gefallen war, mitten in der Normandie!
    »Gehen Sie!«, rief er ihr erneut zu. »Husch!« Er wedelte mit der Hand, um sie zu verscheuchen.
    Endlich schien die Botschaft bei ihr anzukommen. Der Sekundenzeiger der alten Patek Philippe an Jacques’ Handgelenk signalisierte ihm, dass sie ihn exakt weitere zwölf unendliche Sekunden lang anstarrte, bevor sie schließlich den Kopf schüttelte, begleitet von einem irgendwie trotzigen Stirnrunzeln.
    »Nun geh schon, Trotzkopf«, murmelte Jacques leise vor sich hin und wandte den Blick von ihr ab, bevor sie ihn möglicherweise noch hypnotisierte.
    Aus dem Augenwinkel verfolgte er, wie sie endlich im weiten Gelb des Kornfelds verschwand. Wenig später vernahm er Black Beautys mächtiges Getriebe. Langsam schob der Range Rover, der offenbar nur wenige Meter neben ihm im selben Getreidefeld gelandet war, seinen dicken Hintern aus den Ähren. Zurück auf der Landstraße, gab er ein zweifaches Hupen von sich und fuhr dann mit quietschenden Reifen an. Jacques wartete noch eine Weile, bis die Luft rein war und das Motorengeräusch in der Ferne verklungen. Dann, endlich, entriegelte er die Tür. Er stieg aus und legte die Arme auf das Dach seiner geliebten Göttin, die offensichtlich unversehrt war. Am Horizont sah er den schwarzen Geländewagen verschwinden – er fuhr genau dorthin, wo er selbst gerade herkam: in Richtung Paris . Diese verrückten Touristen! Er betete, dass die Fremde nicht in diesem Augenblick bereits dabei war, über ihr Handy Polizei und Rettungswagen zu alarmieren. Sie

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