Nachtpfade
vui.«
»Aber Sie mochten die Jacqueline?«
»Ja.«
»Obwohl sie nachts dauernd spazieren ging?«
»Ja.«
»Das hat Sie nicht gestört? Konnte sie denn so
unausgeschlafen überhaupt arbeiten?«
»Na.«
»Was, na?«
»Es hot mi ned gjuckt.«
»Und hat sie trotz Schlafmangel gut gearbeitet?«
»Ja.«
»Herr Erhard, Sie sind über vierzig. Wäre es da
nicht mal Zeit für eine Frau?«
»Woaß ned.«
»Hatten Sie denn nie das Bedürfnis, zu heiraten?«
»Oamol hob i de Gebhard Marie ogsponna.«
»Und?«
»D Marie hot nix gsagt.«
»Oh, okay, und die Jacky, die wär wirklich nichts
gewesen?«
»Mei, vielleicht.«
»Und?«
»Da bi i beim Wirt verhockt. Beim sechsten Bier hob
i denkt: Mei, so schee isch se o it.«
»Ähm, ja. Sie sind also als Junggeselle zufrieden?«
»Ja.«
»Aber die Jacky. Ich meine, Sie kannten sie ja
trotzdem gut. Könnte sie bei einem ihrer Nachtspaziergänge etwas gesehen haben,
was sie nicht gesehen haben sollte?«
»Was woaß i.«
»Herr Erhard. Sie wurde am Montag gegen acht Uhr
abends in Bad Bayersoien gesehen. Sie soll aus einem Geländewagen ausgestiegen
sein.«
»Sie war beim Brotzeitmacha, und nocha isch se
nausganga.«
»Und dann haben Sie Jacky nicht mehr gesehen?«
»Na.«
»Wo waren Sie denn dann?«
»Im Bett. Wo sonscht.«
Gerhard lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Menschen
reden viel, und wenn sie nichts reden, ist das auch oft sehr beredt. Es gab
keinen perfekten Mord. Es gab keinen Mord, der nicht Spuren hinterließe. Echte
oder emotionale. Und zwischen den Zeilen gab es immer etwas zu lesen. Aber
hier? Besonders ergiebig fand er diese drei Protokolle nicht. Evi war
hereingekommen. »Und?«, fragte sie.
»Tja«, meinte Gerhard. »So übel haben sich die
Kollegen gar nicht angestellt, sofern sie sich mal abgewöhnen würden, so
geschwollen daherzureden. Wir haben mal die Hypothese aufgestellt … Egal, viel
bringt uns das auch nicht, oder?«
»Nun, zumindest haben uns noch drei Leute bestätigt,
dass diese Jacky ziemlich viel in der Nacht unterwegs war«, sagte Evi.
»Ja, und ich bestätige dir nochmals, dass sie ein
unreifes Gör war, das sich geweigert hat, Verantwortung zu übernehmen.« In dem
Augenblick, in dem er das sagte, wusste er, dass er von seiner eigenen Rede gar
nicht überzeugt war. Nicht seit er mit der unglaublichen Frau Jocher gesprochen
hatte. Es musste mehr dahinterstecken. Aber er starrte Evi einfach nur
missmutig an.
Evi gab ein schnaubendes Geräusch von sich, doch mehr
als ein genervtes »Himmel, Weinzirl!« kam nicht. »Und diese Holzgeschichte?«
»In jedem Gerücht ist ein Körnchen Wahrheit, oder?
Lass uns doch mal zu dieser Flößerstube fahren, da hat Jacky ja auch
gearbeitet. Dorfbeizn sind perfekte Kommunikationszentralen und Wirte so was
wie Post, Telefon und Seelsorger zugleich. Auf geht’s!««
Kapitel 4
»Und wenn, wie mir, das Element
ihm fehlt, worin er sich ein stärkend
Selbstgefühl erbeuten könnte?«
Hölderlin, Hyperion
Obgleich Jo und Kassandra nun schon seit vier Monaten
in ihrer Villa Kunterbunt wohnten, war Gerhard noch nie in der Echelsbacher
Wirtschaft, der Flößerstube, gewesen. Es war eine ehrliche Land-Wirtschaft ohne
pseudobayerischen Schnickschnack und brauereibarocke Möblierung. Es gab einen
runden Stammtisch, und da hing einer in durchlöchertem Pulli trotz der
vormittäglichen Stunde schon ziemlich in den Seilen. Er verbreitete einen
bestialischen Geruch nach Stall und jahrelanger Waschmaschinen- und
Duschabstinenz.
»Ziag dein Pullover aus!«, rief ein anderer am
Stammtisch gerade, als die beiden Kommissare eintraten.
»Wieso?«
»Den schier i ei.«
Tosendes Gelächter und betretene Touristen am
Nebentisch, an dem sich eine Dame nun aufbaute und herübergiftete: »Sie riechen
wirklich streng! Sie verpesten ja das ganze Lokal. Mir schmeckt mein Kaffee gar
nicht mehr.«
»So?«
Langsam erhob sich der schlaksige Mann und ging an den
Nebentisch. »I kon mi wascha, und dann schmeck i morga wia a Blumalada. Aber du
gehsch heit ins Bett, und morga bisch genauso schiach wia heit. Du Wetterhex,
du schiache.«
Evi gluckste, Gerhard sah zu Boden. Einzig dem
Kellner, dessen leichter Sprachfehler seinen Charme, der besonders auf ältere
Damen zu wirken schien, nur noch verstärkte, gelang es, die Dame zu beruhigen.
Es war herrlich, und über allem wachten unzählige Reachkrickerl, Urkunden und
eine Tafel, die die zehn Gebote des Wirts auflistete. Eine herrliche
Wirtschaft, eine wie anno
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