Nachtpfade
am Nachmittag drauf wieder abgereist.«
»Und woher weißt du das alles?«
»Von der Tante, deswegen bin ich auch erst jetzt ins Büro
gefahren.«
»Oh, okay, und hat des Käsers Gattin ein Alibi?«
»Nein, die Tante nimmt starke Schlafmittel, sie haben
um neun zusammen gefrühstückt. Dazwischen kann sonst was passiert sein«, meinte
Evi.
Gerhard dachte nach. »Aber wie wahrscheinlich ist es,
dass eine Frau sich so viel später an der Rivalin rächen will und die gleich
ermordet? Ihr Mann ist in Niederbayern und damit aus Jackys Umkreis
verschwunden.«
»Wenn sie klug ist und perfide, hat sie genau das
einkalkuliert. Dass dann der Verdacht auf jemand andern fällt.«
Gerhard verzog unwillig das Gesicht. Frauen konnten so
sein, Frauen dachten so. Leider. »Aber dann müsste sie gewusst haben, dass ihr
Mann eine Affäre hatte, oder?«
»Wusste sie auch.«
»Ach?«
»Ich habe Julia Dürr angerufen. Sie hat mir bestätigt,
dass die Käsers-Gattin das wusste. In folgenden wohlformulierten Worten: ›Ja
Scheiße, voll krass, die alte Schlampe ist mal in den Laden reingerauscht wie
‘ne Irre und hat Jacky angebrüllt, sie soll ihre Pratzn vom Reinhard weglassen.
Weil sie’s sonst büßt. Volle Lotte ausgetickt ist die.‹«
»Also eine Drohung?«
»So was Ähnliches.«
»Okay, wir bleiben auch da dran, aber für den Moment
interessiert mich Erhard.«
Wie fast jeden Tag gab es in Peißenberg eine neue
verwegene Umleitung wegen des Baus der Umgehung. Die Logistik des Straßenbaus
war etwas, was Gerhard faszinierte. Es schien, als herrsche pures Chaos, und am
Ende war da ein neuer Straßenverlauf, und nach einigen Tagen konnte man sich
gar nicht vorstellen, dass es je anders gewesen war. Vielleicht hätte er so was
studieren sollen, dachte Gerhard, als er den Böbinger Berg hinaufkurvte.
Anton Erhard fanden sie schließlich auf einer
abgelegenen Wiese, wo er Zäune abbaute. Er lud Draht und Elektrobänder auf
einen kleinen Holzanhänger, der an einem alten Kramer-Bulldog befestigt war.
»Sechziger Erstzulassung?«, fragte Gerhard.
»Oanasechzg Baujahr«, sagte Erhard.
»Dacht ich mir«, meinte Gerhard und schaute auf die
Zaunmaterialien. »Und im Frühjahr duasch nui hage?«, fragte er dann. Sowohl Evi
als auch Erhard sahen ihn an, als gehöre er in eine Anstalt. Gerhard beeilte
sich zu sagen, dass man im Oberallgäu zum Zäunemachen »Haga« sagt und dass
bereits im Ostallgäu der Ausdruck nicht mehr bekannt sei.
»So«, sagte Erhard immerhin, und Evi schickte ein »Ach
was« hinterher. Gerhard hatte Erhard eigentlich nur ablenken wollen, denn wie
eine Gewehrsalve feuerte er jetzt Sätze: »Erhard, die Jacky hat Ihre Bäume
vernagelt. Sie wussten das. Seit wann eigentlich? Und weil das Mädchen Ihnen
stets gedroht hat, wurde Ihnen das zu bunt, und Sie haben sie ermordet.«
Erhard legte bedächtig ein paar Werkzeuge auf seinen
Wagen und sah in Richtung Berge.
»Ich kann Sie sofort verhaften«, brüllte Gerhard.
Da hob Erhard an zu erzählen – oder besser: Er mühte
sich, Worte herauszupressen. Bei ihm wirkte Reden so, als koste ihn das jedes
Mal titanische Anstrengungen. Schließlich gab er zu, dass Jacky ihn über einen
längeren Zeitraum bedrängt hatte, dass sie bleiben wolle und dass er schon
sehen würde, was er davon habe, wenn er sie rausschmeißt. Er hatte das nie so
recht ernst genommen, auch nicht ihre Drohungen, seine Holzgeschäfte ans Licht
zu bringen. Irgendwann hatte das begonnen mit dem Vernageln. Er hatte andere
»Spezln« im Hinterkopf, denen er das zugetraut hätte, nicht aber Jacky. Aber
dann hatte er sie mal im Wald erwischt, wie sie seine Bäume malträtiert hatte.
Sie hatte ihm unter Tränen gestanden, dass sie das alles doch nur täte, um
dableiben zu können. Er war verständlicherweise ziemlich sauer gewesen, und
sein erster Impuls war es, ihr die Koffer vor die Tür zu stellen. Das hatte
dann seine Schwester verhindert. Auch an jenem Tag im Wald, an dem Berthold und
der Weinling da gewesen waren, war es wieder drum gegangen, dass sie bleiben
wolle. Sie hatte sich erneut entschuldigt und gebettelt. Er hatte ihr aber
gesagt, das ginge einfach nicht. Dass sie zu solchen Methoden gegriffen hatte,
das tat Erhard damit ab, dass sie bekanntlich nicht ganz rundlief. Außerdem gab
er zu bedenken, dass Jacky doch eh niemand geglaubt hätte und dass Jacky nie
zur Polizei oder zum Bürgermeister gegangen wäre. »Am Ossi, der wo
nachtwandelt, dem globt doch koaner«, hatte er gesagt,
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