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Nachtpfade

Nachtpfade

Titel: Nachtpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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schlecht ginge …«
    »Aha, du als Verfechterin der klaren
Satzkonstruktionen. Geht es etwas genauer?«
    »Die Zeit galoppiert dahin, es gibt keine Höhen, keine
Tiefen.«
    »Biologische Uhr?«, provozierte Gerhard.
    »Idiot! Es geht nicht um Männer, Familie,
Kinderwunsch. Ich hasse Kinder, das solltest du wissen. Mein Leben ist einfach
so gleichförmig, ein langsamer Fluss, der dahindümpelt ohne Stromschnellen.«
    »›Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss‹? Ist es
das? Hast du den Film gesehen? Du solltest eben Klebstoff schnüffeln.« Gerhard
war sich nicht sicher, ob Evi diesen Insider-Joke verstanden hatte, für
Kultfilme der Achtziger war sie eigentlich zu jung. Aber gleichzeitig wusste
er, dass gerade Evi ein wandelndes Kultur- und Filmlexikon war.
    »Da hat dich ‘ne Frau reingeschleift, gib es zu! Du
und Filme außerhalb von Bond und Herrn Van Damme. Aber die Richtung ist gar
nicht schlecht.«
    »Richtung Klebstoffschnüffeln?«
    »Ja, Filme, Theater, Kultur. Es ist eben Weilheim – es
ist eben nur Weilheim.«
    Gerhard runzelte die Stirn. »Du willst sagen, du
fühlst dich kulturell nicht ausgelastet?« Dabei hatte Evi ein Theaterabo und
rannte wahrlich in jede Ausstellung, zu jeder Lesung, wenn es ihre Dienstzeiten
irgendwie möglich machten.
    »Das verstehst du nicht. Aber ich würde so gerne in
einer Großstadt leben. Wo nicht die immer gleichen bemühten Theaterer agieren,
wo sich nicht alles nur um den immer gleichen Regisseur dreht und die immer
gleiche Musikgruppe. Wo Fotokunst eben ein wenig mehr ist als die Bäume von
Weilheim, wo Kultur außerhalb von Raiffeisenbanken und Sparkassen-Foyers
vorkommt. Wo es Underground-Bühnen gibt und Konzertsäle, in denen vorher vor allem
keine Rindviecher durchgezogen sind. Stell dir vor, wie es wäre, in München zu
leben mit all dem Angebot!«
    Und im Gegensatz zu vielen seiner alten Kumpels, die
eben genau im gelobten München lebten und vor lauter Arbeit abends auch nur
noch zum ewig gleichen Stadtviertel-Italiener um die Ecke gingen und an denen
all die hehre Kultur angesichts ihres Schlafbedarfs einfach unbemerkt
vorbeiging, im Gegensatz zu diesen würde Evi das Angebot wahrscheinlich
wirklich nutzen. »München kannst du dir mit deinem Gehalt eh nicht leisten. So
‘ne schicke Wohnung wie in Weilheim ist da nicht drin. Dann endest du in einem
dieser gesichtslosen Vororte, bei denen es total egal ist, ob sie Olching,
Germering oder sonst wie heißen. Schotterebenen-Einförmigkeit. Fahr halt von
Weilheim nach München, da soll es einen Zug geben.«
    Evi seufzte. »Was du nicht sagst! Aber das ist nicht
das Gleiche, nicht so, als wenn du abends mit dem Rad ins Theater fährst.«
    »Super, im kleinen Schwarzen und in den Stöckeln!«
    »Weinzirl, es gibt auch Hollandräder, mit denen geht
so was. Nicht jede Frau muss ein Siebenundzwanzig-Gänge-Mountainbike mit Stange
fahren. Wie deine Allwetter-Jo!«
    »Das ist nicht meine Jo. War sie nie. Wird sie nie
sein!«
    »Ja, schon recht, Weinzirl, du alter Büffel. Und wie
auch immer, in München würde ich aufblühen.«
    »Aber Evi-Herz, wenn du noch mehr aufblühst, du, das
blühende Leben, das wäre kaum mehr auszuhalten.«
    »Ja, danke, veräppeln kann ich mich selber.«
    »War ernst gemeint, meine Schöne. Aber mir ist es auch
ernst, dass dieses ganze Stadtleben total überbewertet wird. Und du mit deinen
Arbeitszeiten: Streich Kultur, setze dafür Mord und Totschlag. Und noch
schlimmer: Am Wochenende fährst du dann inmitten von einer Million anderer
Individualisten ins Würmtal, ins Isartal, an den Starnberger See. Staust dich
in Autokarawanen oder quetschst dich in überfüllte Züge und S-Bahnen, wo dein
Nachbar nach Knoblauch stinkt oder schweißelt.«
    »Ich würde in der Stadt bleiben. Was soll ich auf dem
Land?«
    Stimmt, was sollte sie da? Joggen konnte sie auch an
der Isar oder im Englischen Garten, und wahrscheinlich hatte sie da dann auch
gleich noch eine Schar laufschuhbewehrter Bewunderer an den Hacken, dachte
Gerhard. Er seufzte: »Glaub’s einfach. Städte sind ungesund. Die Luft, die du
atmest, riecht nach Abgasen, nach Pommesbuden, nach Kebab und nach der
Hundescheiße, in die viele vor dir getreten sind. Außerdem kann man nicht mal
zügig geradeaus gehen. Du musst dauernd an den Ampeln anhalten. Du musst
dauernd den Kopf in den Nacken legen, um die Häuser zu sehen. Du gehst im
Schatten zwischen hohen Gebäuden. Das gibt Genickstarre.«
    Evi musste nun doch lachen. »Na, das ist

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