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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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zwischen Himmel und Erde. Vielleicht einer der schönsten Plätze dieser Welt. Aber bestimmt kein guter Ort, um zu sterben. Jedenfalls nicht, wenn man sechzehn und achtzehn und bis über beide Ohren verliebt war.
    Neri schlug die Akte wieder zu, weil die Buchstaben vor seinen Augen tanzten. Er verließ das Büro und ging hinaus auf die Mole, ganz vorn bis zum Leuchtfeuer des Hafens. Wollte hinausschauen bis zum Horizont, um in der unendlichen Weite vielleicht irgendwann eine Ahnung davon zu bekommen, was den beiden widerfahren war.
    Susannes Gesicht glühte. Als wenn sie Chili gegessen hätte, das sie absolut nicht vertrug. Zwei tote Schwule auf Giglio, und der Mörder hatte von dort eine Ansichtskarte geschickt. War der denn verrückt geworden? Größenwahnsinnig? Er spielte der Kripo Informationen zu und brachte sich damit selbst in Gefahr. Oder war er seiner Sache so sicher und derart davon überzeugt, nicht gefasst werden zu können, dass er sich diese Spielchen und Provokationen leisten konnte?
    Commissario Neri, schick mir die Untersuchungsergebnisse, betete sie, bitte, mach schnell, ich platze, ich halte es nicht mehr lange aus, ich möchte wissen, ob es der ist, den wir suchen.

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    Montevarchi, August 2009
    Es gibt doch nichts Öderes auf der Welt, als sich eine italienische Immobilie zu kaufen, dachte Matthias und wippte nervös mit dem Fuß auf und ab. Seit einer halben Stunde las der Notar mit nuscheliger Stimme den Vertragstext vor und leierte ihn so undeutlich in einem monotonen Tonfall herunter, dass Matthias davon überzeugt war, dass ihn auch ein Italiener nicht verstehen würde. Zumindest war es eine Zumutung, ihm zuzuhören.
    Sicher war dies auch dem Notar bewusst, und er legte es darauf an, durch diese Lesart zwei Drittel der Zeit einzusparen.
    Matthias langweilte sich zu Tode und versuchte sich abzulenken, indem er auf seiner Unterlippe kaute und sich im Büro umsah.
    Obwohl draußen die Sonne schien, war in diesem Raum ewige Nacht. Schwere grüne Vorhänge vor den hohen Fenstern schluckten jedes Licht, Schränke und Regale waren aus dunklem Holz, und eine hässliche, muschelförmige Lampe, die an der Decke klebte und einen beige-braunen Schirm hatte, gab dem Raum den Rest.
    Die finstere Atmosphäre machte jeden Klienten auf der Stelle depressiv und unterwürfig zugleich, man wagte es nicht mehr, Fragen zu stellen. Dieser Notar war wahrscheinlich auch nicht sonderlich daran interessiert, Licht ins Dunkel des Paragrafendickichts zu bringen.
    Makler Kai Gregori saß Matthias genau gegenüber. Wie eingefroren bewegte er sich überhaupt nicht mehr, und Matthias konnte nicht erkennen, ob er mit stoischer Ruhe seine Knie fixierte oder ob er bereits eingeschlafen war. Faszinierend fand er allerdings, dass den Mund dieses Mannes, der wahrscheinlich noch keine einzige Minute dem Vortrag wirklich zugehört hatte und längst in anderen Sphären schwebte, ein sanftes Lächeln umspielte, das ihm einen zufriedenen, wissenden Ausdruck verlieh.
    Der Eigentümer der Wohnung saß hingegen weit vornübergebeugt und hing regelrecht an den Lippen des desinteressierten Notars, als wollte er jedes vernuschelte Wort einzeln aufsaugen. Er hatte einen Kugelschreiber in der Hand, wippte ihn mit kurzen schnellen Bewegungen wie ein Specht auf und ab, berührte dabei aber die glasierte Tischplatte nicht.
    Er hat es nötig, folgerte Matthias daraus, er muss unbedingt verkaufen. Er braucht das Geld! Jetzt hat er Angst, dass noch irgendetwas dazwischenkommt. Hätte ich ihn früher kennengelernt, hätte ich ihn sicher noch runtergehandelt.
    Und schon begann sich Matthias zu ärgern. Die böse Ahnung, dass er zu viel gezahlt haben könnte, machte ihn ganz krank.
    Der Notar las immer noch.
    Matthias’ Aggressionen wurden immer stärker. Er hatte Lust, den Vertrag zu zerreißen, dem nervösen Eigentümer den Kugelschreiber aus der Hand zu schlagen und seine Faust direkt in dem selbstgefälligen Lächeln des Maklers zu platzieren.
    Aber nichts von alledem tat er. Er konzentrierte sich auf seinen Atem und dachte plötzlich an Alex.
    Alex, der sich nicht einfach mal eine Wohnung, ja noch nicht mal ohne großes Nachdenken Schuhe oder eine Jacke kaufen konnte, der mit derben Sprüchen auf sich aufmerksam machte, immer einen Tick zu laut sprach, der auf Knopfdruck in den deutschen Türkenslang umschalten konnte, der, wenn es nötig war, breitbeinig durch die Straßen ging, um seine Stärke zu demonstrieren, und dem immer und überall

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