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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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es mal umgekehrt geplant.«
    Neri sah, wie sie schluckte. Er blieb stehen und nahm sie einfach in den Arm.
    Rosa ließ es geschehen und sagte keinen Ton.
    »Erzähl mir was von deinem Sohn.«
    »Ich kann nicht. Er ist gerade erst ausgezogen, und ich vermisse ihn schrecklich. Bin noch nicht drüber hinweg.«
    Schweigend liefen sie weiter, was Neri auch sehr zupasskam, denn der Weg wurde von Minute zu Minute anstrengender, und er konnte während des Gehens kaum noch sprechen.
    »Willst du auf der Insel bleiben?«, fragte er nach einer Weile.
    »Ja«, sagte sie bestimmt und wirkte auf einmal wieder fröhlich. »Wo soll ich denn sonst hin? Ich habe keine andere Heimat. Vielleicht ist es schwer zu verstehen, aber zum Leben brauche den Blick auf das Meer. Und den gibt’s nur hier!«
    Sie blieb stehen. Ein paar Möwen schwebten über das Wasser.
    Neri wusste nicht, wie ihm geschah. Dieser Moment war so unglaublich schön, Rosa bezauberte ihn, denn sie hatte eine Sanftheit, die er an ihr nie vermutet hätte. Er überlegte nicht. Es passierte einfach mit ihm, dass er ihr Gesicht in die Hände nahm und sie küsste.
    Rosa schloss die Augen und erwiderte den Kuss.
    Danach sahen beide minutenlang hinaus aufs Meer.
    Es dauerte noch fast eine Stunde, bis sie die Stelle erreicht hatten, wo das Drama passiert war. Neri sah sich aufmerksam um und versuchte sich vorzustellen, was sich an diesem Ort abgespielt haben könnte, während Rosa auf Spurensuche ging, den Boden abtastete, zwischen die trockenen Gräser und unter die knorrigen Büsche sah und lockere Steine umdrehte.
    Dieser Platz war wie ein Tablett. Wie eine winzige Piazza am Abgrund zwischen den Felsen. Das Dach der Welt mit einem grandiosen Blick.
    Neri bekam eine Gänsehaut. Hier war man dem Himmel näher als der Erde, hier wurden Geist und Seele still und friedlich. Dies war keine Arena für einen Kampf auf Leben und Tod, aber dennoch ein schöner Platz zum Sterben. Wahrscheinlich der schönste, den man sich vorstellen konnte.
    Und augenblicklich glaubte Neri wieder an die Selbstmordtheorie. Minetti kannte seine Insel. Er hatte also doch recht gehabt.
    In diesem Moment stieß Rosa einen kurzen, hohen, überraschten Schrei aus.
    »Donato, komm mal her!«, rief sie. »Neri! Ich hab was gefunden!«
    Neri ging zu ihr. Rosa hatte eine goldene Klammer in der Hand, die sie sich ungläubig von allen Seiten ansah.
    »Ich glaub, sie ist echt«, sagte sie staunend. »Sie hat da hinten im Gebüsch gesteckt.«
    Auch Neri besah sich die Klammer genauer. Ganz offensichtlich wurde sie dazu verwendet, Geldscheine zusammenzuhalten. Als schlichter, aber edler Portemonnaie-Ersatz.
    »Ja, sie ist echt. Hundertprozentig. Es ist sogar was eingraviert.« Die Klammer funkelte im Sonnenlicht, und wenn er sie ein wenig wegdrehte, konnte er die Buchstaben M. v. S. erkennen, die ihm überhaupt nichts sagten.
    Aber der Fund, nur wenige Meter vom Tatort oder vom Ort des Unglücks entfernt, war immerhin eine Sensation! Vielleicht der Durchbruch bei den Ermittlungen! Vielleicht ein ganz neuer Ansatzpunkt! Vielleicht letztlich etwas, was den Stein ins Rollen brachte, oder sogar der endgültige Beweis, um den Täter zu überführen.
    »Meinst du, die Klammer hat etwas mit der ganzen Sache zu tun?«, fragte Rosa zaghaft.
    »Natürlich! Da bin ich mir ganz sicher.« Er nahm sie Rosa aus der Hand und rollte sie in ein Papiertaschentuch, da er keine Plastiktütchen dabeihatte, und steckte sie in seine Brusttasche. Und im selben Moment fiel ihm ein, was Minetti sagen würde:
    »Du lieber Himmel, Neri! Ja, was glauben Sie denn? Die beiden verunglückten Ragazzi waren arm wie die Kirchenmäuse. Die besaßen so einen Schickimicki-Schnickschnack nicht. Es sei denn, sie hatten ihn kurz zuvor irgendjemand geklaut, aber dann bringt er uns nicht weiter. Und wenn der mysteriöse Täter, an den Sie ja anscheinend immer noch glauben, dieses Kleinod verloren haben sollte, dann wäre das ein Zufall ohne jede Bedeutung. Denn ob die Initialen mit seinem Namen identisch sind, wissen wir erst, wenn wir ihn haben. Aber genauso gut kann diese blöde Klammer ein Japaner, Chinese oder ein reicher Russe verloren haben. Und zwar gestern, vorgestern, letzte Woche, vor einem Monatoder vor einem halben Jahr! Nun kommen Sie endlich zu sich, Neri, und hören Sie auf mit diesen absurden Hirngespinsten!«
    Diese Rede klingelte Neri bereits in den Ohren und dämpfte seine Freude.
    »Lass uns nach Hause gehen, Rosa«, sagte er. »Dass du das

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