Nachtprinzessin
gefunden hast, ist fantastisch, und ich will so schnell wie möglich mit Minetti darüber reden.«
»Vergiss es«, meinte auch Rosa. »Ich kenne Minetti seit zig Jahren. Wenn er will, zertrampelt er jede Idee wie ein Elefant, der durch frisch gesäten Salat marschiert. Er wird sagen, auf Giglio stirbt man an Altersschwäche oder man bringt sich um. Das kann schon mal passieren. Aber ganz sicher wird man hier nicht ermordet!«
Neri musste grinsen. Rosa hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.
Sie ging zu ihm, zog ihn auf einen Stein, setzte sich neben ihn und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
»Lass uns noch einen Augenblick«, flüsterte sie. »Es ist grade so schön … hier … mit dir …«
Rosa war Balsam für Neris Seele. Sie war sanftmütig und schön. Hungrig nach Zärtlichkeit und durch und durch romantisch. Und vor allem hatte sie ihn noch nicht ein einziges Mal kritisiert.
Er hielt sie im Arm, und es lag nicht an der Sonne, dass ihm immer heißer wurde.
Um neunzehn Uhr verschwand Rosa in Linos Restaurant. Sie arbeitete abends von neunzehn bis vierundzwanzig Uhr, manchmal auch länger, wenn Gruppen im Restaurant waren, die feierten, kein Ende fanden und irgendwann die Nacht zum Tag machten.
»Wenn es mehrere oder sogar viele sind, schmeiße ich niemanden raus!«, hatte Lino schon oft verkündet. »Geld verdienen kann man nur mit den Getränken, nicht mit dem Essen. Und wenn die Touristen sich die Hucke volllaufen lassen – mir recht. Dafür schlage ich mir gern auch mal ’ne Nacht um die Ohren.«
Das kam ungefähr einmal in der Woche vor, und dann musste Rosa bleiben. Bis zum bitteren Ende.
Als Neri ins Büro kam, war Minetti nicht da, und so konnte er ihm die Klammer nicht zeigen. Er legte sie in seine Schreibtischschublade, machte sich in seiner Stube, so gut es ging, frisch und ging um kurz nach acht zu Lino. Dort konnte er sie den ganzen Abend sehen, konnte eine Spur ihres Duftes riechen, wenn sie an seinem Tisch vorbeiging, und konnte wenigstens hin und wieder ein Wort mit ihr wechseln.
Rosa. Ihr Name kreiste in seinem Kopf, und er hatte das Gefühl, keine Sekunde mehr allein sein zu können.
Um dreiundzwanzig Uhr fiel er vor Müdigkeit fast vom Stuhl. Der Marsch auf die Klippen hatte ihn doch mehr angestrengt, als er gedacht hatte. Und das Lokal war noch fast voll. Die Chance, dass Rosa pünktlich um Mitternacht Feierabend haben würde, war äußerst gering.
»Buonanotte, Rosa«, sagte er leise zu ihr, als er ging, und sie spitzte lediglich den Mund. Wie der Hauch eines Kusses.
Neri ging durch den nächtlichen Hafen wie ein Schlafwandler. So müde war er. In seinem Hinterzimmer schaffte er es gerade noch, sich auszuziehen, dann fiel er in einen tiefen, ohnmachtsähnlichen Schlaf.
Sie kam kurz nach zwei.
Er schreckte hoch, weil jemand vor der Tür leise seinen Namen rief.
Neris Herz begann zu rasen, als wäre er sechzehn und müsste zum ersten Mal ein Mädchen zum Tanzen auffordern.
Er öffnete.
Sie lächelte und hatte eine Flasche Wein unterm Arm. »Komm mit zu mir nach oben«, sagte sie schlicht. »Da ist es gemütlicher.«
In ihrer kleinen Wohnung öffnete sie den Wein und schenkte ihn ein.
»Es war stressig heute«, meinte sie. »Immer wenn man unbedingt nach Hause will, nimmt es kein Ende.«
Dass sie das sagte, klang für ihn wie eine Liebeserklärung.
Sie prosteten sich nur mit Blicken zu und tranken.
»Die Nacht ist so schön«, murmelte sie.
Dann beugte sich Neri zu ihr hinüber und küsste sie. Er spürte, dass sie seinen Kuss leidenschaftlich erwiderte, schob den Gedanken energisch beiseite, ob das, was er tat, richtig oder falsch war, nahm all seinen Mut zusammen, stand auf, nahm ihre Hand und zog sie aufs Bett.
Erst als er im Morgengrauen neben Rosa erwachte, fiel ihm schmerzlich Gabriella ein, und er wusste nicht mehr, was er denken sollte. Fühlte sich glücklich und tieftraurig zugleich.
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Der Anruf kam am nächsten Morgen.
Neri hockte seit neun Uhr im Büro und konnte sich kaum bewegen. Er hatte das Gefühl, bei einer schnellen Bewegung könnten wie zur Strafe Kopfschmerzen aufflammen, die ihn den ganzen Tag lahmlegen würden. Aber das Schlimmste war der Muskelkater. Er war es einfach nicht gewohnt, stundenlang in den Bergen herumzuklettern.
Um zehn Uhr achtundzwanzig klingelte das Telefon. Ein Gespräch aus Deutschland.
Neri brach innerlich zusammen.
Aber die Verständigung klappte weitaus besser als erwartet. Hauptkommissarin Knauer aus Berlin
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