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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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eine Kippe im Mundwinkel hing – auch an Orten, an denen man nicht rauchen durfte.
    Alex spielte den großen Max, war in Wahrheit ein kleiner Anarchist und der sensibelste Mensch, den Matthias je erlebt hatte. Aber das hielt Alex selbst für eine Schwäche und versuchte es zu verstecken. Sein ganzes Machogehabe war im Grunde ein einziges, verzweifeltes Täuschungsmanöver.
    Komm zu mir nach Italien, dachte Matthias, bitte, Kind, komm! Wir werden uns in dieser Wohnung in Montebenichi nicht auf den Geist gehen – im Gegenteil, wir werden dort zusammen eine wunderbare Zeit verbringen. Du und ich, Vater und Sohn.
    Der Notar unterbrach seinen Vortrag, schnäuzte in ein riesiges Stofftaschentuch und las weiter.
    Als er umblätterte, sah Matthias, dass er endlich auf der letzten Seite des Vertragstextes angekommen war.
    Am liebsten wäre er auf der Stelle losgerannt, ins Auto gesprungen und nach Berlin gerast, um Alex endlich mal wieder in den Arm zu nehmen, aber das war im Moment nicht möglich.
    Alex musste warten, und das zerriss ihm fast das Herz.
    Dass Alex wenig Lust hatte, überhaupt von ihm in den Arm genommen zu werden, daran dachte er keinen Augenblick.
    Er erinnerte sich noch gut an Ostern vor zehn Jahren. Alex war gerade fünfzehn geworden, und sie trafen sich zweimal im Monat, um ins Kino zu gehen, in eine Kneipe oder in ein Restaurant. Diese Treffen waren nie sehr erfreulich, denn Alex hatte keine große Lust, seinen Vater zu sehen. Entweder maulte er herum und blockierte jeden Vorschlag, der von Matthias kam, oder sie saßen in Matthias’ Wohnung und stritten sich.
    Und dann fuhr Matthias drei Wochen nach Kenia. Als er wiederkam, war er nicht braun gebrannt, sondern grau im Gesicht. Seine Wangen waren eingefallen, und seine Augen glänzten fiebrig. Er fühlte sich so schwach, dass er seinen Koffer nur mit Müh und Not zum Taxistand schieben konnte. Zu Hause legte er sich sofort ins Bett und bat seine Mutter, ihn mit Wasser, Tee und Brühe zu versorgen, schon allein der Gang zur Toilette war für ihn eine unüberwindliche Anstrengung.
    Vierundzwanzig Stunden dauerte dieser Zustand. Dann rief Mutter Henriette die Feuerwehr, die ihn ins Krankenhaus brachte.
    Lungenentzündung durch bakterielle Infektion, lautete die Diagnose. Auf Antibiotika sprach er nicht an, sein Leben hing am seidenen Faden. Er schlief fast Tag und Nacht, und wenn er nicht von Fieberträumen geschüttelt wurde, dämmerte er vor sich hin und bekam nur wenig davon mit, was um ihn herum geschah.
    Ab und zu registrierte er, dass Henriette oder Thilda an seinem Bett saßen. Henriette kam meist vormittags, Thilda nachmittags.
    Zuerst glaubte er zu fantasieren, aber abends, wenn auf den Stationen schon das Licht gelöscht wurde, schlich sich Alex ins Zimmer und setzte sich an sein Bett. Saß einfach nur da, sagte nichts und wagte es nicht, ihn zu berühren. Er blieb sitzen, auch wenn Matthias immer wieder wegdämmerte.
    Es war wie ein unwirklicher, heiserer Gesang aus einer anderen Welt, als er hörte, wie Alex weinte.
    Matthias ließ die Augen geschlossen, um ihn nicht zu beschämen, und tat weiterhin so, als ob er fest schliefe.
    »Bitte, Papa, du darfst nicht sterben«, schluchzte Alex leise. »Bitte, bitte, ich brauch dich doch!«
    Und dann verschwand er ebenso leise, wie er gekommen war.
    Von nun an begann Matthias zu kämpfen. Er wollte unbedingt weiterleben. Für Alex. Er hatte nur diesen einen Sohn, und der war ihm das Wichtigste auf der Welt.
    Denn dieser Junge liebte ihn, er traute sich nur nicht, es zu zeigen.
    Drei Wochen später wurde Matthias aus dem Krankenhaus entlassen.
    Als er mit seinem Amerigo-Vespucci-Füller endlich seinen Namen unter den Kaufvertrag setzte, hatte er das Gefühl, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Vielleicht würde er eines Tages sogar ganz nach Italien ziehen. Man konnte ja nie wissen.
    »Haben Sie vor, in Montebenichi Urlaub zu machen?«, fragte Kai seinen Kunden und Kollegen, als sie nach der Vertragsunterzeichnung in einem Restaurant in Siena saßen.
    »Ich weiß noch nicht«, antwortete Matthias. »Ich weiß noch gar nicht, was ich mit der Wohnung mache, sie hat mir einfach nur gefallen.«
    »Die meisten Leute wollen was am Meer, wenn sie ein Urlaubsdomizil suchen, oder sie nehmen ein einsames Haus in den Bergen. Aber so eine Wohnung in einem kleinen Dorf – das hat man selten.«
    »Vielleicht bin ich nicht ›die meisten Leute‹.«
    Während Matthias den Satz sagte, hörte er, dass er arrogant

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