Nachtprinzessin
anzugucken.«
»Warum hast du mich nicht angerufen?«
»Ich hab es zweimal versucht und keinen Anschluss bekommen. Vielleicht warst du gerade in einem Funkloch. Und dann musste ich schnell entscheiden. Sie ist auch erst seit ein paar Tagen dort.«
»Wie hast du das alles geregelt?«
»Ich bin hingefahren, hab den Vertrag unterschrieben, und dann wurde sie dorthin transportiert. Die Rechnung bekommst du irgendwann. Oder vielleicht ist sie auch schon in der Post.«
»Danke, Thilda. – Wann kann ich zu ihr?«
»Jederzeit. Rund um die Uhr, wenn du willst.«
Thilda legte auf, und Matthias ließ seinen Tränen freien Lauf.
Er musste und wollte nach Hause, aber die bevorstehende Trennung von Gianni machte ihm jetzt schon zu schaffen.
Um zwölf Uhr holte Matthias Gianni in Siena ab. Er wollte einen letzten, wunderschönen Ausflug mit ihm machen, wollte etwas haben, was ihm in Erinnerung blieb.
Gianni stand – wie verabredet – pünktlich vor seiner Haustür, und dann fuhren sie auf der Autostrada in Richtung Grosseto und bogen nach kurzer Fahrt nach San Galgano ab. Gianni hatte gemeint, in der Toskana gäbe es nichts Vergleichbares.
Schon der von Zypressen gesäumte Weg bis zur Abtei war einmalig. Als sie sich auf der Zypressenallee der Abtei näherten, hörte er den knirschenden Kies unter seinen dünnen Ledersohlen, und er wusste, dass er nicht ging, sondern schritt . Ein wunderbares Gefühl, denn seinen gelassenen, gleichmäßigen und gleichzeitig erhabenen Gang würden ohne Zweifel auch andere bemerken. Nicht zuletzt Gianni, von dem er inzwischen wusste, wie sehr er ihn bewunderte, und dem er vor drei Tagen gestattet hatte, Matthias statt Dottore zu ihm zu sagen. Natürlich hatte ihm das Dottore ausgesprochen gut gefallen, aber als vertrauenschaffende und freundschaftsfördernde Maßnahme war es wichtig, mit dem Vornamen angesprochen zu werden.
Matthias hatte Bilder von der Abtei San Galgano gesehen und Großes erwartet, aber als er dann wirklich in dem gewaltigen, hohen und ungedeckten Kirchenschiff stand, war er überwältigt. Er konnte sich gar nicht sattsehen, legte den Kopf in den Nacken und ließ die außer gewöhnliche Atmosphäre der hohen Kirchenmauern mit den gotischen Fenstern und darüber die überraschende Weite des stahlblauen Himmels langsam und lange auf sich wirken.
»Komm«, flüsterte er. »Setzen wir uns, und du erzählst mir was über San Galgano.«
Gianni hatte schon am Tag zuvor, als sie wussten, wohin sie fahren würden, ausführlich über dieses Kloster gelesen.
»1218 wurde erbaut la chiesa. Von französische Zisterzienser. Hierhin war zuruckgezogen der heilige Galgano von Ambrogio Lorenzetti, er liebte zu sein ganz einsam. Ha capito, la guerra isse sinnlos. Wollte nie wieder kämpfen in eine Schlacht.«
Matthias hörte andächtig zu und sah aus, als würde er vor seinem inneren Auge die Geschehnisse der Vergangenheit an sich vorbeiziehen lassen.
Ganz sacht, ganz sanft und beinah zufällig legte er seine Hand auf Giannis Knie.
Gianni zuckte zusammen. Er wusste nicht, was er machen sollte, glaubte, seinen Gönner und Freund zu verärgern, wenn er sein Knie jetzt einfach zur Seite zog, sodass dessen Hand abrutschen musste. Also versuchte er, dem Ganzen keine Beachtung zu schenken, es als eine normale, freundschaftliche Geste hinzunehmen und einfach weiterzureden.
»Galgano hatte geschworen, von jetzt an sein Leben Gott zu gebe. Zu zeige, dass er mache Ernst, wollte er zerbrechen sein Schwert auf der Klippe, aber Schwert fuhr hinein in den Fels. Bis zum Griff.« Matthias’ Hand rückte auf seinem Bein ein wenig höher. »Du kannst es sehen in Chiesina Monte Siepi«, hauchte Gianni mit zitternder Stimme.
Ihm brach der Schweiß aus.
»Ja, das können wir«, flüsterte Matthias. Er schloss die Augen, zog die Hand zurück und faltete seine Hände.
Gianni war so erleichtert, dass er beinah laut geseufzt hätte.
Er sagte nichts mehr, sondern ließ Matthias diesen stillen Moment, der minutenlang dauerte.
Dann standen sie auf und gingen in die Kapelle.
Matthias war locker und entspannt wie immer. Als wäre nichts gewesen, als hätte es diese Berührung niemals gegeben. Nach der ausführlichen Besichtigung der Abtei machten sie einen langen Spaziergang und gingen dann am Abend in Monticiano essen.
Am Tag zuvor hatte Matthias Gianni in sein Appartement bestellt und ihm ganz genau erklärt, was er dort bis zu Matthias’ Rückkehr im Oktober noch erledigen sollte. Es ging darum,
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