Nachtprinzessin
das Bad zu streichen, bestellte Möbel anzunehmen, Vorhänge, Überdecken, Teppiche und verschiedene Accessoires zu besorgen, die in Italien schwer zu finden waren. Es erforderte langes Suchen, viel Hin-und-her-Fahrerei von einer Stadt zur andern und vor allem eine Menge Zeit. Matthias wollte, dass in seiner Wohnung in zwei Monaten alles perfekt war.
Gianni kannte Matthias’ Vorstellungen, er hatte ganz genau verstanden, worauf es ankam, und er übernahm die Aufgabe gern. Damit hoffte er, Matthias vielleicht mit seiner Kreativität beeindrucken zu können.
Matthias hatte nach dieser Besprechung ein gutes Gefühl. Gianni war feinfühlig genug und würde seinen Geschmack treffen. Und es war ja nicht nur dies. Er war sich ganz sicher, dass Gianni dieser Wohnung etwas von seiner Seele einhauchen und Matthias es dort mit jedem Atemzug spüren würde.
An diesem Abend wollte er nun nicht über die Wohnung sprechen. Gianni sollte sich nicht wie ein Angestellter vorkommen, sondern wie ein Freund.
»Warum musst du nach Deutschland?«
»Wegen meiner Mutter, wegen meines Sohnes und wegen meiner Arbeit. Aber vor allem wegen meiner Mutter. Sie ist sehr krank, ist im Heim, und sie braucht mich. Das verstehst du doch, oder?«
»Certo.« Wenn ein Italiener überhaupt etwas nachvollziehen konnte, dann war es die Sorge um die eigene Mutter.
»Und wann?«, fragte Gianni und nippte an seinem Wein.
»Morgen früh. Ich schätze mal so um acht. Denn ich will durchfahren, und wenn ich Glück habe und nicht viel Verkehr ist, bin ich in zwölf Stunden zu Hause. Irgendwann musst du mal mitkommen, Gianni. Dann zeige ich dir Berlin.«
Gianni lächelte. »Va bene.«
Matthias sah ihm in die Augen. »Ich fahre gar nicht gern weg. Am liebsten würde ich hierbleiben.«
»Sì, sì … Aber Berlino isse interessante. Sicuro. Hier isse langweilig.«
»Mit dir ist es nie langweilig.«
Gianni errötete. Er fühlte sich gehemmt, wusste nicht, was er sagen sollte.
Matthias nahm seine Hand. »Du bist mir ein richtiger Freund geworden, Gianni. Ich bin sehr froh, dass wir uns kennengelernt haben.«
Gianni entzog ihm die Hand und lächelte entschuldigend. »Ich auch felice.«
In diesem Moment trat der Ober an den Tisch und schenkte Wein nach, was die Atmosphäre ein bisschen entkrampfte.
Matthias war klar, dass in der Beziehung zu Gianni noch ein weiter Weg vor ihm lag, bis Gianni sich ihm gegenüber völlig entspannte. Aber eines Tages würde er seinen Widerstand aufgeben und ihn lieben. So wie Matthias Gianni jetzt schon liebte. Vielleicht bekäme er ja doch noch einmal eine zweite Chance und einen zweiten Dennis.
Als Matthias Gianni gegen dreiundzwanzig Uhr nach Hause fuhr und vor seiner Wohnung in zweiter Spur parkte, beugte er sich zu ihm und küsste ihn auf beide Wangen.
»Ciao, amico«, sagte er. »Wir können ja ab und zu mal telefonieren.«
»Va bene.«
»Pass auf dich auf, Gianni, denn ich habe Angst vor jedem Regentropfen, dass er dich erschlagen könnte.« Dieser Satz war aus irgendeinem Gedicht, aber Matthias wusste nicht mehr, aus welchem. Das war ja auch egal. Er fand jedenfalls, dass diese Worte an dieser Stelle und in dieser Situation wunderbar passten. Gianni würde ihn als einen poetischen, zartbesaiteten Menschen in Erinnerung behalten.
Gianni lächelte. »Buon viaggio. E grazie per tutto!«
Damit stieg er aus dem Wagen, winkte noch einmal kurz und verschwand im Haus.
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Berlin, August 2009
Es war wie in einem immer wiederkehrenden Albtraum: An der Tür klingelte es, er öffnete, und vor ihm stand eine grinsende Fratze, die ihm unverständliche türkische oder arabische Brocken zuzischte und ihm gleichzeitig ein Messer in den Bauch rammte.
Jedes Mal erwachte er schweißgebadet und rappelte sich auf, um sich zur Toilette zu schleppen und vielleicht so den beängstigenden Albtraum abzuschütteln.
Albträume waren wie Vampire: Sie fürchteten das Licht des Tages und verschwanden dann sofort. Aber auch eine grelle Badezimmerbeleuchtung konnte schon helfen.
Und nun klingelte es wirklich an der Tür.
Alex schreckte auf und sah unwillkürlich zur Uhr. Dreizehn Uhr dreißig. Das war nicht unbedingt die Zeit, die sich Kemal und Salih für ihre Rachefeldzüge aussuchten. Aber was konn ten sie auch noch von ihm wollen? Leyla war in der Türkei und würde mit ziemlicher Sicherheit nie mehr zurückkehren.
Es klingelte erneut. Länger und anhaltender.
Alex stöhnte wie ein verwundetes Tier, schleppte sich zur Tür und
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