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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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sah durch den Spion.
    Vor der Tür stand sein Vater.
    Du lieber Himmel! In seinem Loft hatte er seit Wochen nicht mehr aufgeräumt, geschweige denn sauber gemacht. Er hatte seit ewiger Zeit Tag und Nacht dieselben Klamotten an, seine fettigen Haare klebten strähnig am Kopf, und wahrscheinlich stank er wie ein Puma.
    Er hatte zu nichts Lust. Warum konnten sie ihn alle nicht einfach in Ruhe lassen?
    Dennoch öffnete er.
    So ein guter Schauspieler war Matthias nicht, dass er spontan verbergen konnte, wie sehr ihn der Anblick seines Sohnes erschreckte. Ein verwahrlostes menschliches Wrack stand ihm da gegenüber. Wie ein Penner unter der Brücke wirkte er, nur allein die Tatsache, dass er noch in seiner Wohnung war, gab ihm ein kleines bisschen Schutz.
    Alex’ Augen waren blutunterlaufen, von feinen geplatzten Äderchen durchzogen, darunter tiefe dunkle Schatten. Seine Haut war blass und wächsern, seine Hände hingen schlaff und kraftlos herab, und Matthias konnte sich gar nicht vorstellen, dass sie noch vor einiger Zeit stundenlang schwere Eisenpfannen geschwenkt hatten.
    Er schob sich zur Tür hinein und versuchte seinen Sohn in den Arm zu nehmen, aber der entzog sich ihm sofort.
    »Musst du nicht gleich los? Und willst du so zur Arbeit gehen?« Matthias hätte sich für diese Frage ohrfeigen können. Anstatt zu fragen, wie es ihm gehe, ob er krank oder ob irgendetwas passiert sei, kam er sofort mit diesem spießbürgerlichen Interesse und der versteckten Kritik.
    »Ich muss nirgendwohin«, sagte Alex müde. »Ich hab keinen Job mehr. Hab in’n Sack gehauen.«
    Matthias war entsetzt. »Und nun?«
    »Nix nun . So ist das eben. Wahrscheinlich ganz normal in dieser Scheißzeit und in dieser Scheißgesellschaft.«
    »Kriegst du Stütze?«
    »Nee. Bin ja gesperrt, weil ich bei diesen Schindern, Halsabschneidern und Betrügern die Notbremse gezogen hab und gegangen bin. So was wird bestraft in Deutschland. Wenn der Arbeitgeber monatelang keine Knete rüberwachsen lässt – das ist egal. Da kommt ihm keiner aufs Dach. Aber wenn du dann aus lauter Notwehr kündigst, kriegst du vom lieben Arbeitsamt noch zusätzlich eins auf den Deckel. Ich sag dir, wenn ich ’ne Knarre hätte, würde ich auf dieses verlogene Scheißamt gehen und jeden erschießen, der mir vor die Flinte kommt.«
    »Mein Gott, hör auf, so zu reden!«
    »Na, ist doch wahr!« Alex ließ sich schwer auf seine Matratze fallen und machte eine einladende Handbewegung. »Setz dich irgendwo, wenn du willst und wenn du ’nen Platz findest. Zu trinken kann ich dir nichts anbieten, der Kühlschrank ist leer, ich trinke nur noch aus der Leitung. Hab noch nich mal mehr Alkohol.«
    »Seit wann hast du nichts mehr gegessen?«
    »Seit drei Tagen vielleicht. Können aber auch vier sein.«
    Matthias war von der haarsträubenden Situation überfordert und im Moment unfähig, blitzschnell zu überlegen, was jetzt am besten zu tun sei. Er nahm schmutzige Wäsche von einem Stuhl und setzte sich.
    »Was machen wir bloß mit dir?«, fragte er leise.
    Alex’ Hände zitterten so, dass er es kaum schaffte, sich eine Zigarette zu drehen. Dann fing er stumm an zu weinen.
    Matthias ließ ihn eine Weile in Ruhe und wartete ab. Als Alex’ Tränen versiegt waren und er hektisch an einer Zigarette zog, sagte er: »Komm doch einfach eine Weile mit nach Italien. Ich hab dort eine ganz süße Wohnung gekauft, du kannst dort wohnen und bleiben, solange du willst. Allein, mit mir, mit Freunden, ganz egal. Nur dass du mal auf andere Gedanken und aus diesem Irrsinn hier rauskommst.«
    »Leck mich am Arsch mit deinem blöden Italien«, fauchte Alex.
    Matthias zuckte zusammen. »Wieso? Was hast du denn dagegen?«
    »Leck mich am Arsch mit deinem blöden Italien!«, schrie Alex mit hoher Fistelstimme. Jetzt war er nicht mehr blass, sondern knallrot im Gesicht und zitterte am ganzen Körper vor Wut. Dennoch gab er ein erbärmliches, bemitleidenswertes Bild ab. »Ich will nicht nach Italien, kapierst du das nicht? Da werd ich verrückt! Ich kann die Sprache nicht, da gibt es nur italienisches Fernsehen, italienische Filme im Kino, ich kenn da niemanden, alle reden nur dieses verdammte Italienisch. Also, was soll ich da?«
    Stimmt. Was sollte er da?, überlegte Matthias. Alex konnte nicht wochenlang im Liegestuhl liegen und die schöne Aussicht genießen. Was er brauchte, waren ein vernünftiger Job, ein geregelter Tagesablauf, Geld im Portemonnaie und Lebensmittel im Kühlschrank. Denn im Grunde

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