Nachtprinzessin
sich drum kümmern können.
Er ging zu ihr und streichelte vorsichtig ihre Wange. »Wie schön, dass es dir so gut geht, Mama! Kannst du mir sagen, wie du dich fühlst?«
»Ich will weg hier«, sagte sie tonlos. »Bitte!«
»Alles, was du willst, Mama. Jeden Wunsch, den du hast, werde ich dir erfüllen. Das verspreche ich dir.«
Um achtzehn Uhr sprach Matthias kurz mit der Pflegerin und verließ das Heim, als das Abendessen auf den Tisch kam.
»Sie hat von Tag zu Tag mehr lichte Momente«, hatte die Pflegerin erklärt, »aber das wissen Sie sicher alles längst. Manchmal murmelt sie den ganzen Tag ohne Pause vor sich hin, aber dann spricht sie auch wieder tagelang kein Wort. So ist das eben. Noch ist ihr Gehirn durcheinander. Es spuckt aus, was gerade kommt. Jeder Kontakt tut ihr gut. Sie braucht jetzt Anreize, Beschäftigung, man muss sie einfach fördern und das Gehirn trainieren. Manchmal – aber nicht immer – ist sie sogar in der Lage, Fragen zu beantworten. Das ist in ihrem Zustand wirklich eine Sensation! Die Windel braucht sie leider, laufen kann sie überhaupt nicht, aber sie schafft es schon, sich ein bisschen und langsam mit dem Rollstuhl allein fortzubewegen.
All diese Dinge sind ein riesengroßer Fortschritt. Und wenn Sie bedenken, wie wenig Zeit erst seit dem Schlaganfall vergangen ist, grenzt es fast an ein kleines Wunder. Also müssen wir zufrieden sein. Mehr kann ich Ihnen im Moment nicht sagen.«
Matthias bedankte sich und versprach, so bald wie möglich wiederzukommen und seine Mutter überhaupt regelmäßig zu besuchen, wenn er in Berlin war.
Als er anschließend mit schwebenden, beinah tänzelnden Schritten den Flur entlang bis zum Ausgang ging, sah ihm die Pflegerin nach und wusste nicht so recht, was sie von dem Versprechen halten sollte.
Um einundzwanzig Uhr dreißig, nachdem er sein Gepäck nach Hause gebracht und sich geduscht und umgezogen hatte, betrat er das Rautmann’s.
Carlo war erfreut, ihn zu sehen.
»Sie waren aber lange nicht da! Wir haben uns schon Sorgen gemacht!«
»Ich war verreist. In Italien.« Matthias grinste breit.
»Ach! Wo denn?«
»Auf einem Landgut in der Nähe von Siena. Es war sehr schön.«
»Das glaub ich. Traumhaft!«
Matthias setzte sich und nahm die Speisekarte in die Hand. Er hatte keine Lust, sich noch länger über Italien zu unterhalten.
»Was können Sie mir denn empfehlen?«
»Unser Tagesmenü ist heute etwas ganz Besonderes: italienischer Nudelsalat mit Zucchini und getrockneten Tomaten, dann Saltimbocca alla Romana und als Dessert Erdbeertiramisu.«
»Wunderbar. Das nehme ich und dazu eine Flasche Brunello.«
»Sehr gern.« Carlo entfernte sich, um die Bestellung aufzugeben.
Matthias aß langsam, ruhig und mit Bedacht. Von den beiden Pizzen, die er heute Mittag für Alex und sich bestellt hatte, hatte er nur einen kleinen Happen gekostet, den Rest hatte Alex regelrecht verschlungen. Matthias hatte ihm zugesehen und darauf gewartet, dass er sofort alles wieder erbrechen würde, aber das Gegenteil geschah. Von Bissen zu Bissen ging es Alex besser, und als die Pizzen aufgegessen waren und Alex vier Bier getrunken hatte, verirrte sich sogar ein dankbares Lächeln auf sein Gesicht.
Es brach Matthias fast das Herz. Das konnte einfach nicht sein Sohn sein, der genauso am Ende war wie die übergewichtigen Asozialen in den reißerischen Dokus der privaten TV -Sender, bei denen sich die Zuschauer an den Elendsgeschichten weideten und an dem Unvermögen derer ergötzten, die unfähig waren, in einer streit- und gewaltfreien Beziehung zu leben.
»Ich komme wieder«, hatte er zu Alex gesagt. »Mach dir keine Sorgen, ich finde einen Weg.«
Dann war er gegangen und hatte Alex in seinem Chaos allein zurückgelassen.
Das Saltimbocca im Rautmann’s war fantastisch. Matthias ließ jeden Bissen im Munde zergehen und wünschte sich, Alex würde öfter mit ihm essen gehen, anstatt ständig die schweren, fettigen Pizzen mit hart und kalt gewordenem Analogkäse und gewellten, trockenen Salamischeiben in sich hineinzustopfen.
Nach der Hauptspeise fragte er Carlo, ob der Küchenchef vielleicht einen Moment Zeit für ihn habe.
»Das könnte sein«, meinte Carlo ausweichend. »Ich werde mal fragen. Wenn die Küche geschlossen ist, bestimmt, aber jetzt? Wir werden mal sehen.«
»Ich kann warten, ich habe heute Abend nichts mehr vor«, murmelte Matthias und war sich nicht sicher, ob Carlo ihn verstanden hatte.
Um dreiundzwanzig Uhr setzte sich endlich
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