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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Tage später, um fünfzehn Uhr dreißig, rief Matthias bei Herrn Dr. Hersfeld an. In der Wannseevilla ging niemand an den Apparat, daher probierte er es auf dem Handy.
    Er ließ es pausenlos klingeln und wollte schon wieder auflegen, als Dr. Hersfeld sich schließlich doch meldete.
    Die Verbindung war schlecht, das permanente Rauschen in der Leitung war lauter als Dr. Hersfelds Stimme, und es hörte sich keineswegs so an, als wäre er in Berlin unterwegs.
    »Ich rufe Sie wegen der Heizungsmodernisierung und der Rohrleitungsdämmung an«, brüllte Matthias ins Telefon. »Ich habe eine kompetente Firma ausfindig gemacht, die die Sache zu einem sehr anständigen Preis übernehmen würde. Wann könnten wir denn einen Termin mit der Firma machen? Diese Woche wär gut, nächste Woche bin ich wahrscheinlich nicht in Berlin.«
    Die Geräusche, die Dr. Hersfeld machte, klangen wie ein Glucksen.
    »Ich bin zu einem Kongress in Bangkok, und komme erst am sechsundzwanzigsten wieder.« Er brüllte ebenfalls in den Apparat. »Wir müssen die Sache bis nach meiner Rückkehr verschieben.«
    »Aber es geht doch nur darum, den Auftrag zu unterschreiben! Kann das nicht eventuell Ihre Frau machen?«
    »Meine Frau ist auch hier in Bangkok, meine Tochter absolviert ein Schuljahr in England, und nur mein Sohn ist zu Hause und hütet das Haus. Aber ihm möchte ich die Angelegenheit nicht so gern übertragen, denn ganz so billig ist das Projekt nun auch wieder nicht.«
    »Nein, da haben Sie recht. Gut, dann warten wir bis nach Ihrer Rückkehr!«
    »Alles Gute!«, flötete Dr. Hersfeld noch – dann legte er auf.
    Mein Sohn ist zu Hause und hütet das Haus.
    Der Satz klingelte Matthias in den Ohren und war für ihn wie Musik.
    In seiner Erinnerung sah er den blonden Achtzehnjährigen bei dem Essen, zu dem Dr. Hersfeld geladen hatte, um deutlich zu machen, dass er die Villa kaufen wolle, noch genau vor sich: wie er in seiner Lasagne stocherte, ab und zu verschmitzt grinste, sich aber sonst nicht an dem Gespräch beteiligte.
    Es war ihm egal, ob sein Vater die Villa kaufte oder nicht.
    Wichtig war nur, dass man ihn in Ruhe ließ.
    Er würde ihn nicht in Ruhe lassen.
    Der Spätsommerabend war warm, die Luft weich und samtig. Vielleicht einer der letzten schönen Abende oder Nächte in diesem Jahr. Ideal, um den Sonnenuntergang am Wannsee zu genießen oder sogar noch eine kleine Tour mit dem Ruderboot zu machen.
    Matthias’ Lenden kribbelten vor Vorfreude.
    Um sechzehn Uhr packte er noch einige Utensilien in eine Sporttasche, nahm vorsichtshalber eine Jacke mit, falls die Nacht auf dem Wasser doch empfindlich kühl werden sollte, und machte sich um sechzehn Uhr fünfzehn auf den Weg nach Schwanenwerder.
    Siebenunddreißig Minuten später klingelte er an der Tür der Villa.
    Er wartete. Doch nichts geschah.
    Matthias legte das Ohr an die Tür, konnte drinnen aber keinen Laut hören. Auch keine Musik aus einem der hinteren Zimmer.
    Die Enttäuschung machte ihn wütend, und er läutete Sturm, als könnte er Bastian auf diese Weise herbeizaubern.
    Als er schon unverrichteter Dinge wieder fahren wollte, sah er ihn.
    Er kam angeschlendert, kickte ab und zu ein Steinchen weg und hatte die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Eine Jacke hatte er nicht an, trug lediglich ein T-Shirt mit einem Graffiti-Aufdruck, den Matthias weder verstehen noch entziffern konnte.
    Matthias lächelte freundlich, als Bastian auf die Haustür zusteuerte und einfach nur irritiert und keineswegs erfreut wirkte.
    »Hei!«, sagte Matthias. »Ich wollte eigentlich zu deinem Vater. Ein paar Sachen wegen der Heizung besprechen – aber offensichtlich ist niemand da.«
    »Nee. Meine Eltern sind in Bangkok. Eine Woche noch.«
    Eine Woche, dachte Matthias, wenn er wollte, hätte er eine ganze Woche Zeit!
    »Das ist ja dumm.«
    »Tja. Da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.« Bastian stand nun in der offenen Tür und sah Matthias abwartend an, als wollte er fragen: »Gibt’s noch was?«
    »Könnte ich vielleicht mal einen Moment reinkommen?«, fragte Matthias. »Ich hab vorhin einen toten Marder von der Straße geräumt und müsste mir unbedingt mal die Hände waschen.«
    »Bitte.« Bastian machte Platz und deutete Matthias an einzutreten. »Warum haben Sie den Marder nicht einfach liegen lassen, wenn er doch schon tot war?«
    »Weil ich es entwürdigend für die armselige Kreatur finde, wenn pausenlos Autos über sie rüberfahren und sie nach einer Weile platt ist wie ’ne

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