Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
keine Genussmittel, das wundervolle vielfältige Material, mit dem du arbeiten darfst, sondern irgendwelches Zeugs, dass du klatschen, knallen, schmeißen, hauen und was weiß ich was musst. Du liebst es nicht. Du liebst deine ganze Arbeit nicht. Oder hast du ein einziges Mal gesagt, Oma, heute koche ich dir etwas ganz Besonderes? Etwas, das ich selbst erfunden habe und das die Welt noch nicht gesehen hat. Ich habe eine großartige Idee, wollen wir beide mal probieren, ob es auch schmeckt?
    Nein. Niemals hast du dir etwas einfallen lassen. Du warst immer nur froh, wenn du fünfzig Kilo Bohnen verarbeitet hattest, die schon angegammelt waren, und keiner hat’s gemerkt. Du warst froh, wenn du durchgedrehten Salat als Spinat verkaufen konntest. Du warst erleichtert, wenn die Hygiene nicht gemerkt hat, dass ihr das Fleisch, das seit Jahren über das Verfallsdatum hinaus war, umetikettiert habt. Du warst zufrieden, wenn du vierhundert Essen rausgehauen hast und keiner sich beschwert hat, obwohl nur Lebensmittel für dreihundertfünfzig Portionen zur Verfügung standen. Dein Job besteht aus Stress und Betrug. Ihr kratzt den Dreck von der Erde und schmeißt ihn in die Pfanne. Ihr spuckt in die Suppe, wenn ihr einen Gast nicht leiden könnt. Ihr niest hemmungslos ins Gemüse, wenn ihr erkältet seid. Es kommt euch nicht darauf an, ein wundervolles Gericht zu kochen, sauber und geschmacklich auf allerhöchstem Niveau, um einen Gast glücklich zu machen und ihm für sein Geld etwas Adäquates zu bieten – es ist euch allen egal, was ihr macht, ihr seid nur noch froh über jeden Tag, den ihr überlebt habt. Weil ihr nicht zusammengebrochen seid, keine Pfanne an den Kopf, kein heißes Fett über den Arm und kein Messer in den Bauch bekommen habt.
    Das ist doch kein Leben, Alex!
    Du hast keine Freunde, keine Familie, keine Freizeit, nichts. Du schläfst und arbeitest. Du isst ja noch nicht mal was Vernünftiges. Kostest nur hin und wieder einen Löffel Gemüse oder Soße.
    Bitte, lass es. Und wenn du eine andere Ausbildung machen willst: Egal, wie lange es dauert, egal, was es kostet, du kriegst von mir das Geld.«
    Von jedem anderen hätte er sich derartige Predigten nicht angehört, Oma durfte ihm das sagen.
    Vielleicht hatte sie das zu früh getan, vor ein paar Jahren war er noch nicht so weit gewesen, zu begreifen, wie recht sie gehabt hatte.
    Oma!, schrie er innerlich. Verdammte Scheiße, Oma!
    Im Rautmann’s war er vom Regen in die Traufe gekommen. Es war wie überall. Wie in jedem Hotel. Er machte unbezahlte Überstunden ohne Ende, schuftete für einen Hungerlohn, und der Arbeitsalltag im hochgelobten Sternerestaurant war um keinen Deut besser als anderswo. Im Gegenteil.
    Er wusste, dass er es nicht mehr lange aushielt, dass er etwas ändern musste, um nicht selbst ein für alle Mal vor die Hunde zu gehen, aber Oma würde es nicht mehr mitbekommen. Sie konnte sich nicht mehr freuen, wenn er den Absprung doch noch einmal schaffte.
    Und dieser Gedanke brach ihm fast das Herz.
    Fünf Stunden später schwitzte er wie ein Schwein, hatte sechzehn Pfannen vor sich, und seine Blase war kurz davor zu platzen. Der Kollege, der für das Fleisch und die auf Punkt gebratenen Steaks zuständig war, arbeitete präzise auf die Sekunde. Musste ein Teller warten, weil das Gemüse noch nicht fertig war, wurde das Fleisch kalt. Oder er musste es notgedrungen länger im Ofen lassen, dann war es durchgebraten, tot, wie es die Köche nannten, und verdorben.
    Sie arbeiteten alle wie ein Räderwerk, bummelte einer, brach das ganze System nicht nur für ein Gericht, sondern für etliche zusammen, was wiederum einen Schneeballeffekt auslöste, der manchmal den ganzen Abend aus dem Gleichgewicht bringen und immer längere Verzögerungen provozieren konnte.
    Alex arbeitete jetzt seit knapp drei Wochen im Rautmann’s, bisher hatte er noch nie Probleme gehabt, im Stoßgeschäft zur Toilette zu müssen, heute hielt er es nicht mehr aus.
    »Scheiße!«, schrie er und versuchte, das übliche Stressgebrüll der Köche und die Befehle des überforderten Küchenchefs zu übertönen. »Ich muss aufs Klo!«
    »Geht jetzt nicht!«, brüllte irgendjemand zurück.
    Dann hörte er nur noch das Übliche: »Los, wir müssen schicken!« – »Tisch siebzehn hat Kroketten bestellt, du Idiot!« – »Mach hinne, du Arsch!« – »Welche Sau hat den Spargel für den Fettsack an Tisch fünf gefressen?«, und so weiter.
    Er biss die Zähne zusammen und versuchte

Weitere Kostenlose Bücher