Nachtprinzessin
weiterzukochen, zu braten, zu brutzeln, zu schwenken und auf die Teller zu verteilen, so gut es ging.
»Ich halt es nicht mehr aus!«, raunte er dem Azubi zu, der die Teller vom Fleischposten holte und anreichte. »Ich platze gleich. Oder ich mach mir in die Hosen.«
»Tu’s doch«, meinte der Azubi ungerührt. »Machen doch alle hier. Wundert mich, dass du hier überhaupt so rumschreist, is’ doch wurscht, lass doch laufen!«
»Leck mich am Arsch«, sagte Alex nur, was so gut wie alles heißen konnte. Dann versuchte er, sich für den Bruchteil einer Sekunde zu entspannen – und machte sich in die Hose. Ließ es einfach laufen, während er den Brokkoli anrichtete, den Spargel aus dem Wasserbad fischte und Zwiebeln in Butter schwenkte.
An seinem Platz bildete sich eine Pfütze, die aber nur Sekunden zu bemerken war. Dann vermischte sich alles mit Gemüseabfällen, Fleischresten, Mehlstaub und wurde außerdem von den schweren Arbeitsschuhen zertreten.
Alex fühlte sich sofort besser und um eine Erfahrung reicher.
Küchenchef Clemens Majewski war der junge Schnösel Alexander von Steinfeld schon die ganze Zeit ein Dorn im Auge, obwohl er ja so jung eigentlich gar nicht mehr war. Er hatte schon einige Berufsjahre und jede Menge unangenehmer Erfahrungen auf dem Buckel. So leicht konnte man ihm nichts mehr vormachen, er arbeitete schnell und unauffällig und hatte ein System perfektioniert, nirgends anzuecken, um seine Ruhe zu haben.
Das konnte Majewski nicht ausstehen.
Er hatte ihn vom ersten Augenblick an nicht leiden können, und dass sein Vater, diese Tunte, ihm den Kerl regelrecht aufgeschwatzt hatte und er bei einem der besten und lukrativsten Kunden, die das Rautmann’s hatte, nicht einfach Nein sagen konnte, stank ihm am allermeisten.
Alex hatte Majewski bisher keinen Grund gegeben, ihn rauszuschmeißen, also würde er versuchen, ihn rauszuekeln. Und so etwas war ihm bisher immer gelungen.
Als das Stoßgeschäft vorbei war und es im Laden allmählich ruhiger wurde, besah sich Majewski die neun unterschiedlichen Dips für Salate und Steaks, die Alex bereits für den morgigen Tag vorbereitet hatte. Appetitlich, sauber, in mit Folie verschlossenen Glasgefäßen. Da war nichts über den Rand gekleckst, da sah man keine Fingerspuren, wo ein Tropfen weggewischt worden wäre, Alex arbeitete einwandfrei.
Majewski riss von allen Gefäßen die Folie ab, nahm ein brüchiges Stück Baguette und kostete jede einzelne Soße. Üppig, gierig und keineswegs vorsichtig.
Alex gefror das Blut in den Adern, als er sah, dass Majewski das Baguette absichtlich zerdrückte und in die Soßen krümelte.
Als der Küchenchef fertig war, blökte er: »Was ist das denn? Sorg dafür, dass keine Krümel in deinen Soßen herumschwimmen. Wo sind wir denn! So kannst du in einer Dreckskantine arbeiten, aber nicht bei uns!«
Es gab keinen in der Küche, der das nicht gehört hatte.
Alex musste an sich halten, um sich nicht mit dem nächsten Messer auf Majewski zu stürzen und die Sau abzustechen. Er ließ jeden einzelnen seiner Fingerknöchel knacken und pumpte wie ein Maikäfer. Dann begann er stillschweigend, die Krümel aus den Soßen zu fischen.
Aber Majewski war noch nicht fertig.
Kurz vor Feierabend, als alle müde und genervt waren und nur noch den einen Wunsch hatten, möglichst schnell nach Hause zu kommen, präsentierte Majewski Alex auf sechs verschiedenen Desserttellern unterschiedlich aussehende Fleisch- und Gemüsesoßen, die alle gleich waren und alle gleich schmeckten.
»Da hätte ich doch gern mal von unserem berühmten und adeligen Chef de Partie eine Einschätzung. Koste mal und sag mir, Klugscheißer, welche Soße was taugt und welche nicht. Du hast doch erst vier Bier intus, da wird man so was ja wohl noch schaffen.«
Alex wusste ganz genau, dass Majewski ihn nur auflaufen lassen wollte, aber er hatte keine Wahl. Er musste da durch.
Er ließ sich Zeit. Kostete einmal, zweimal, dreimal. Die Soßen waren mittlerweile kalt und breiig. Schmeckten wie salzige Pampe mit einem Anflug von Kräutern und Knoblauch.
Majewski sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, trommelte auf der blank polierten Arbeitsplatte herum und hinterließ dort seine fettigen Fingerabdrücke.
Die Kollegen standen in einigem Abstand und waren mucksmäuschenstill.
Schließlich atmete Alex tief durch und sagte: »Ich finde keinen Unterschied. Es ist immer dieselbe Soße. Nicht besonders originell, Fond, Gemüse, Kräuter, Sahne, passt
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