Nachtprinzessin
immer, tut nicht weh, aber haut einen auch nicht vom Hocker. Wenn du Tipps brauchst, der ganzen Sache den gewissen Pfiff zu geben, herzlich gern.«
Über fast jedes Kollegengesicht zog ein Grinsen.
Majewski dagegen lachte lauthals und schlug sich auf die Schenkel. Wischte sich die Tränen aus den Augen, während er brüllte: »Schau an, unser Herr Baron hat sich seine Geschmacksknospen weggesoffen! Das ist ja köstlich, aber mach dir keine Sorgen, so etwas kann man trainieren, und im zweiten Lehrjahr hab ich’s auch nicht besser gekonnt! Fragt sich nur, was du hier als Chef de Partie zu suchen hast, wenn du noch nicht mal so ein paar läppische Soßen abschmecken kannst!«
Die Kollegen, die fast alle Alex’ Untergebene waren, lachten dröhnend, was Majewski Auftrieb gab.
»Du bist ja behindert, Junge! Wenn wir dich weiterbeschäftigen, kriegen wir ’ne Sonderprämie vom Staat! Das ist großartig, solange du geschmackstechnisch nicht auf die Menschheit losgelassen wirst. Denn da bist du auf einem Niveau wie ein humpelnder Marathonläufer oder ein blinder Maler!«
Das Gelächter schwoll an. Jetzt wurden auch die Azubis, die sich bisher noch zurückgehalten hatten, mutiger.
»Pflegefall, komm mal her!«
Alex reagierte nicht.
»Was haltet ihr davon, wenn wir unseren Herrn Baron von nun an nur noch Pflegefall nennen? Ist das nicht herrlich?« Er deutete durch die offene Tür in den Flur auf eine Kiste Kiwis, die noch vor dem Kühlraum stand.
»Pflegefall, geh los und zähl die Kiwis. Aber richtig, verstanden? Denn wenn du so zählst, wie du abschmeckst, müssen wir dich leider in der Behindertenwerkstatt abgeben.«
Das Gelächter hielt an, und Majewski fühlte sich großartig. Endlich mal wieder wie der King auf seiner Insel. Und wenn Alex dazu taugte, dass man sich über ihn lustig machte, dann hatte er gar nichts mehr dagegen, dass er der Tunte einen Gefallen getan und dieses verzogene Gör eingestellt hatte.
Alex nahm die Kiste Kiwis und verschwand im Kühlraum.
Sein Hass war übermächtig.
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Allmählich kam der Herbst. Susanne wollte es nicht wahrhaben, aber hatte sie gestern noch auf dem Balkon gesessen und zumindest eine halbe Stunde in der Sonne gelesen, so tobte heute ein Sturm durch die Straßen der Stadt, fegte das erste Laub vor sich her und brachte den Regen.
Das Wetter passte zu Susannes Stimmung. Die Ermittlungen in den drei Berliner Mordfällen stagnierten, und auch die Verbindung mit den Toten auf Giglio brachte keine neuen Erkenntnisse. Ein wahllos zuschlagender Mörder, der seinen Opfern rein zufällig begegnete, war kaum zu stoppen. Und noch nicht einmal das homosexuelle Milieu war eine konstante Verbindung: Bastian Hersfeld hatte keinerlei homoerotische Neigungen gezeigt. Davon waren zumindest seine Eltern überzeugt.
An diesem Morgen war sie früher im Büro als gewöhnlich. Melanie hatte stillschweigend das Nutellabrot eingeworfen, hatte ihren Taschensack gegriffen und war in die Schule abgeschwirrt. Nachdem Susanne die Küche in Ordnung gebracht und die Wohnung gelüftet hatte, war sie ins Büro gegangen. Normalerweise fing sie erst um zehn an, aber im Büro konnte sie ihre Zeit besser nutzen als zu Hause.
Die Post kam um Viertel nach neun. Sie erkannte den Brief sofort. Der gleiche Umschlag, die gleiche knappe Adresse.
Mit zitternden Händen öffnete sie ihn. Wieder ein Buchstabensalat wie beim letzten Mal, was sie wütend machte. Das war die reinste Beschäftigungstherapie, als wenn die Polizei weiter nichts zu tun hätte. Und außerdem in einer winzigen Plastiktüte, einer Art Schutzhülle für Briefmarken, ein paar Haare.
Noch eine DNA -Probe. Er spielt mit uns. Fühlt sich unangreifbar. Kommt sich vor wie der Größte.
Allerdings konnte es auch sein, dass er eine falsche DNA schickte. Obwohl er sich denken konnte, dass sie alle Proben miteinander vergleichen würden. Also nur eine weitere Beschäftigungsmaßnahme.
Die dritte Möglichkeit war, dass er ernst genommen werden wollte. Dass er durch seine DNA -Probe sicherstellen wollte, dass sie nicht auf die Idee kamen, den Brief einem Trittbrettfahrer zuzuordnen.
Was sie stutzig machte, war, dass die Haarprobe schwarz war. Sowohl am Tatort von Jochen Umlauf als auch dem von Manfred Steesen hatten sie einige wenige blonde Haare gefunden. Eventuell färbte er seine Haare, und wahrscheinlich war er auch schon schwarzhaarig gewesen, als er Bastian Hersfeld ermordet hatte. Noch so ein Spielchen.
»Ben!«, rief sie
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