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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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außergewöhnlichen Menschen Henriette von Steinfeld sprach, den niemand in dieser Kapelle jemals vergessen werde, hörte er gar nicht hin. Er starrte sie an und versuchte zu begreifen, was er verloren hatte.
    Sie, seine Göttin.
    Nach der Trauerfeier war er ungemein erleichtert. Tränen liefen zwar immer noch ab und zu über seine Wangen, aber es war gut so. Er litt, er trauerte, war überwältigt von seinem Schmerz. Kein Mensch auf dieser Welt hatte einen ähnlich gravierenden und existenziellen Verlust erdulden müssen. Niemand war unglücklicher und bemitleidenswerter als er, und alle Welt sollte dies nicht nur merken, sondern auch gebührend zur Kenntnis nehmen.
    Er folgte dem Sarg als Erster und setzte, sowie der Zug die Kirche verließ, seine dunkle Sonnenbrille auf.
    »Kann ich dich einen Moment sprechen?«, fragte Thilda leise, nachdem sich der Pfarrer verabschiedet hatte.
    »Schon«, erwiderte Matthias unwirsch. »Worum geht’s denn?«
    »Um Alex.«
    »Ja, und? Weißt du, warum er nicht gekommen ist?«
    »Er muss arbeiten, Matthias, er hat versucht freizubekommen, aber es ging nicht. Sie haben ihn nicht gehen lassen. Du kennst das ja.«
    Matthias nickte.
    »Es funktioniert nicht im Rautmann’s, Matthias. Du kennst den Laden nur als Gast und hast keine Ahnung, was da abläuft. Es ist die Hölle. Schlimmer als im Hotel. Und Alex kommt überhaupt nicht mehr klar.«
    Einige Trauergäste kamen, um sich zu verabschieden.
    »Thilda, können wir das ein andermal besprechen? Ich habe heute meine Mutter zu Grabe getragen und hab jetzt weiß Gott was anderes im Kopf! Außerdem hab ich – wie du siehst – weder Ruhe noch Zeit. Ich ruf dich in den nächsten Tagen an. Okay?«
    »Nein, das ist nicht okay!«, zischte Thilda. »Denn ich finde, es eilt. Alex geht kaputt, er muss da raus, aber er wagt es nicht, einfach zu kündigen.«
    »Warum denn nicht?«
    »Wegen dir, verdammt! Du hast ihm den Job verschafft, also glaubt er, dir was beweisen zu müssen. Er fühlt sich wie ein Versager, wenn er in den Sack haut, verstehst du das? Aber er kann nicht mehr. Er wird da fertiggemacht, hält das nicht mehr aus. Und wenn ihm einer helfen kann, dann du!«
    »Sowie ich Zeit hab, rede ich mit ihm.«
    Thilda versagten die Worte. Ihr brannte so viel auf der Seele, sie musste Matthias unbedingt alles erzählen, was sie von Alex gehört hatte. Ihr Sohn war in der Höhle des Löwen und wurde gerade langsam und genüsslich zerfleischt. Und Matthias hatte keine Zeit! Wie immer.
    Sie starrte ihn stumm an. In ihrem Blick hielten sich Verzweiflung und Wut die Waage.
    »Ich ruf dich an«, fügte Matthias noch hinzu.
    Thilda drehte sich grußlos um und ging.
    Im Haus war es nicht auszuhalten, und er wurde fast verrückt. Er hörte sie im Wohnzimmer rumoren, hörte das Radio, das in der Küche den ganzen Tag lief. Er hörte ihre Schritte auf der Treppe und das Klappern von Geschirr, ja sogar den Duft von gebratenen Zwiebeln glaubte er in der Nase zu haben. Ganz gleich, welches Essen sie zubereitet hatte, sie hatte immer damit begonnen, Zwiebeln in der Pfanne anzubraten.
    Ein paarmal lief er hinunter, weil er sich sicher war, dass sie gerufen hatte.
    Im Schlafzimmer hing noch der Duft ihrer Nachtcreme, und im Bad sah es aus, als würde sie jeden Moment hereinkommen und sich die Zähne putzen.
    Dabei war sie schon seit Wochen nicht mehr hier gewesen.
    Ihre Gegenwart war einfach unerträglich.
    Er begann, zwei Umzugskisten zu packen. Suchte nützliche Dinge zusammen, die er in seiner Wohnung in Montebenichi gebrauchen konnte. Etwas Geschirr, Handtücher, Staubsauger und Putzmittel, Bettbezüge, Kosmetikutensilien fürs Bad, Bücher, die er schon seit Monaten oder sogar Jahren lesen wollte, zwei Nachttischlampen, Kerzen und Kerzenständer, einen Wecker und einige Bilder, die er immer geliebt hatte, aber die seine Mutter nun nicht mehr sehen würde. Er ging durchs ganze Haus und warf immer wieder eine Kleinigkeit in die Kiste.
    Dann packte er zwei Koffer mit Bekleidung, die er in Italien lassen wollte. Für sein neues Leben, das ihm dabei helfen sollte, seine Göttin zu vergessen.
    Und dann rief er Gianni an.
    »Ich komme morgen Abend«, sagte er. »Vielleicht schaffe ich es bis zwanzig Uhr. Treffen wir uns direkt in meiner Wohnung?«
    Gianni antwortete nur mit »Ja«.
    Das war genug. Mehr benötigte Matthias nicht, um den Rest des Tages und die Nacht bis zu seiner Abfahrt zu überleben.
    Um zweiundzwanzig Uhr dreißig ging er ins

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