Nachtprinzessin
deinen eigenen Scheiß!«
»Ich rede, mit wem ich will, wann ich will und worüber ich will. Ist das klar?«
Alex drehte sich um und verließ die Küche. Mittlerweile war außer ihnen beiden niemand mehr da. Es war allgemein Feierabend. Matthias fragte sich, ob Alex jetzt auch ohne ein weiteres Wort direkt nach Hause ging.
Carlo betrat die Küche, sah, dass Majewski und Matthias noch dort standen, und wollte zurückweichen, aber Majewski gab ihm einen Wink und zeigte auf sein leeres Glas. Carlo nickte und ging zurück an die Bar.
»Passen Sie mal auf, mein lieber Freund«, setzte Majewski wieder beim Thema ein, da er nun genug Zeit gehabt hatte, sich eine Rede zurechtzulegen. »Ich hatte hier heute ein verdammtes Problem. Ich habe in diesem Laden und mit diesem Sauhaufen von Köchen eigentlich jeden Tag ein verdammtes Problem. Und wenn ich Sauhaufen sage, dann meine ich Sauhaufen, und da kann ich leider auch Ihren Sohn nicht ausnehmen. Aber heute war hier die Kacke wirklich am Dampfen. Fünf von elf Köchen fehlen zurzeit krankheitsbedingt, die Azubis haben erst vor vier Wochen angefangen und wissen überhaupt noch nicht, wo die Glocken hängen, dann ist mir die Lachslieferung fürs Abendmenü geplatzt, der Saftsack von Lieferant ist einfach nicht gekommen, und dann gab’s eine Bestellung zum zusätzlichen Irrsinn. Sechzig Leute, Reisegruppe aus Tel Aviv, alle wünschen à la carte zu speisen, natürlich koscher und für alle die Gänge gleichzeitig, mindestens vierzig haben Extrawünsche, das zeigt die Statistik: Ach, könnte ich bitte Kroketten statt der Bratkartoffeln haben? Und statt Brokkoli einen kleinen gemischten Salat? Das Fischfilet bitte ohne Soße, aber dafür bitte im Ofen mit Käse überbacken und, und, und. Lauter solche Extrawippchen. So eine Gruppe ist der Supergau, wenn Sie sich das auch nur annähernd vorstellen können. Und da werde ich den Teufel tun und auch noch einem meiner Köche freigeben, damit er seiner Oma Sand hinterherschmeißen kann. Nee, mein Lieber, das geht ja nun mal gar nicht!«
Matthias fand den überheblichen und primitiven Ton des Küchenchefs unerträglich und geradezu unverschämt, obwohl er diesem selbst sicherlich gar nicht bewusst war.
Und da er wenig Lust hatte, sich mit diesem Proleten weiter zu unterhalten, trank er sein Bier und schwieg. Nickte lediglich, zu mehr konnte er sich nicht aufraffen.
Carlo brachte ein neues Bier für den Küchenchef, der es in die Hand nahm und sofort gierig trank.
Carlo entfernte sich.
Es war still geworden im Rautmann’s. Offensichtlich waren alle Köche und wahrscheinlich auch Alex bereits gegangen.
Majewski war vollkommen darauf konzentriert, sein Bier Schluck für Schluck und ohne Pause hinunterzukippen, um endlich den Alkoholpegel zu erreichen, bei dem er entspannen konnte.
So ungewohnt still und menschenleer hatte die Küche etwas Gespenstisches.
»Ich muss mich dann verabschieden«, sagte Matthias und stellte sein noch halb volles Bierglas ab. »Will morgen früh raus. Wenn nicht zu viel Verkehr ist und ich vor Florenz keinen Stau erwische, bin ich abends bereits in der Toskana und sitze bei einem Kollegen von Ihnen in einer italienischen Osteria.«
Majewski starrte in sein Glas. »Gute Reise.«
Matthias war erstaunt, wie es passieren konnte, dass Majewskis Augen binnen weniger Minuten blutunterlaufen waren und aussahen, als hätte er bereits die ganze Nacht durchgesoffen. Er musste sich also nicht lange anstrengen, um seinen gewohnten Level zu erreichen, der ihn vergessen ließ, in welch desolatem Leben er gestrandet war.
»Gute Nacht«, sagte Matthias und verließ durch den Gastraum das Restaurant.
Auch Carlo war nirgends mehr zu sehen.
Die kühle Nachtluft tat ihm gut. Er atmete ein paarmal tief durch, dann ging er zu seinem Wagen. Schade. Er hatte gehofft, vor seiner Abreise noch einmal in Ruhe mit Alex reden zu können, aber das hatte ja nun nicht mehr geklappt.
Er würde versuchen, ihn übers Handy zu erreichen. Schließlich mussten sie sich keine Romane erzählen, aber vielleicht konnte ihm Alex sagen, wie er sich die Zukunft vorstellte. Ob er sich überhaupt vorstellen konnte, eine Zukunft zu haben.
Als er an seinem Wagen angekommen war, zögerte er für den Bruchteil einer Sekunde, ob er sich nicht doch lieber ein Taxi rufen sollte. Nach einer Flasche Wein und einem ekelhaft warmen, halben Bier war er geliefert, wenn er in eine Kontrolle kommen sollte, und dann konnte er sein Wiedersehen mit Gianni in
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