Nachtprinzessin
Rautmann’s.
»Buonasera, Carlo«, begrüßte er den Kellner betont freundlich. »Come va?«
»Tutto bene, grazie.«
Matthias nahm Platz, ließ sich viel Zeit mit dem Lesen der Karte und bestellte schließlich ein aufwendiges Vier-Gänge-Menü und eine Flasche Barolo.
»Arbeitet mein Sohn noch?«, fragte er, während er Carlo seine Wünsche diktierte.
Carlo nickte. »Sì, sì.«
»Wie lange denn noch?«
»Bis Feierabend. Bis Mitternacht, oder später. Je nachdem.«
»Wann hat er denn heute angefangen?«
Carlo zuckte die Achseln und blickte zur Decke, als würde er nachdenken. »Ich weiß es nicht. Aber als ich um zwölf gekommen bin, war er schon da.«
Also hatte Thilda recht gehabt. Er hatte wieder einen Vier zehn- bis Sechzehnstundentag, und die Schweine hatten ihm noch nicht mal zur Beerdigung seiner Großmutter freigegeben.
Noch nie war ihm ein Abendessen so entsetzlich lang vorgekommen, und noch nie war ihm jeder Bissen so schwergefallen. Seine Geschmacksnerven waren ausgeschaltet, er konnte Fisch von Fleisch nicht mehr unterscheiden.
Die Flasche Wein hatte er längst ausgetrunken, aber er wollte sich nicht noch mehr bestellen. In wenigen Stunden musste er aufstehen und losfahren, er konnte es kaum noch erwarten, Gianni wiederzusehen. Nur der Gedanke an ihn konnte ihn im Moment noch aufheitern.
Allmählich leerte sich das Restaurant. Matthias trank noch zwei Espressi und aß dazu drei Ricciarelli. Wenigstens den Marzipan- und Mandelgeschmack konnte er erahnen.
»Kannst du deinem Schwuchtel-Vater nicht mal beibringen, nicht immer erst auf die letzte Minute hier anzutanzen und dann die aufwendigsten Menüs zu bestellen?«, tönte Küchenchef Majewski durch die Küche. »Soll er meinetwegen um acht hier aufkreuzen – aber nein! Wir sind alle schon dabei, sauber zu machen, und dann erscheint Königinmutter, und wir müssen springen.«
Alex zuckte zusammen. Schwuchtel-Vater hatte er gesagt. Vor allen. Das war das Letzte, das würde er ihm nie verzeihen. Noch ein Wort, und er würde ihm eine reinhauen.
Innerlich wappnete er sich.
Ein paar Köche lachten.
Sicherheitshalber sah Alex noch einmal alle Bons durch, aber es waren keine Gemüsebestellungen mehr offen. Wenn nicht noch etwas Unvorhergesehenes passierte, war er für heute fertig. Er putzte seinen Kochbereich weiter, der schon fast perfekt war. Sowohl auf den Fliesen hinter dem Herd als auch auf der chromglänzenden Arbeitsplatte war kein Krümel, kein Streifen, kein Spritzer mehr zu sehen. Nur mit den gusseisernen Herdteilen musste er sich noch beschäftigen.
Majewski kam angeschlendert. Mit einem Bier in der Hand. Sicher seinem fünften oder sechsten an diesem Abend. Und das war erst der Aufgalopp.
»Na los, Pflegefall!«, brüllte Majewski. »Schwirr ab, und hol ’ne Kiste Karotten und ’ne Kiste Gurken, und schneid die schon mal für morgen. Vielleicht beehrt uns dein Vater ja wieder, und da steht er bestimmt drauf!« Er lachte dröhnend, und wieder lachten ein paar Köche mit.
Alex wusste nicht, was er sagen sollte, aber er platzte fast.
»Mach dir nichts draus, Pflegefall«, schrie Majewski. »Schwul ist schließlich nicht der, der fickt, sondern der, der gefickt wird!«
Etliche Köche klopften vor Begeisterung und zur Zustimmung mit Kochlöffeln und -kellen auf die Arbeitsplatten. Einige brummten: »Geil!«, oder: »Leck mich fett, so hab ick det noch janich jesehn!«
Majewski hatte noch nicht genug. Er kramte in einer Kiste Obst, die bereits für das Frühstücksbuffet hochgebracht worden war, fand eine faulige Melone, nahm sie und schmiss sie mit voller Wucht gegen die frisch geputzten Fliesen über Alex’ Herdbereich. Sie zerplatzte augenblicklich, und ihr überreifes Fruchtfleisch spritzte über Fliesen, Herd, Arbeitsplatte und Fußboden.
»Oh!« Majewski spielte den Erschrockenen und schlug die Hand vor den Mund. »Ist dein Dreckstall ein bisschen bekleckert. Das tut mir aber leid! Muss ich dir wohl oder übel beim Putzen helfen!« Mit diesen Worten schüttete er sein Bier über Alex’ Herd, und die Brühe schwamm zwischen immer noch angetrocknetem Fett und Melonenresten.
Alex’ Gesicht stand in Flammen, aber er sagte nichts, sondern machte sich daran, seinen Platz erneut zu putzen.
Gut gelaunt begann Majewski das Lied zu singen, das er den ganzen lieben langen Tag vor sich hin schmetterte und womit er allen anderen, denen jegliches Singen oder Pfeifen untersagt war, erheblich auf den Nerv ging:
»In einem
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