Nachtprinzessin
den Wind schreiben.
Das Risiko war groß.
Sein Herz klopfte wie wild, weil er sich, bevor er Gianni kennengelernt hatte, solche Gedanken noch nie gemacht hatte.
Gianni braucht mich, dachte er, mich, seine Prinzessin. Ich sorge für ihn und bin sein bester Freund. Glücklich ist er nur in meiner Nähe. Er kann ohne mich nicht sein, und ich will ihn nicht enttäuschen.
Daraufhin steckte er den Schlüssel ins Zündschloss und fuhr los.
Es war null Uhr vierunddreißig.
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Toskana, Montag, 5. Oktober 2009
Obwohl er nur vier Stunden geschlafen hatte, wurde er nicht müde. Wie von einem magischen Band gezogen, fuhr er hellwach, beinah überkonzentriert. Hörte fast ausschließlich Musik von Zucchero, hielt nur ein einziges Mal an, aß ein Baguette mit Salat und Käse, trank zwei Milchkaffee und raste weiter. Richtung Süden.
Hinter dem Brenner wurde ihm ganz leicht ums Herz. Am frühen Abend passierte er Florenz ausnahmsweise ohne größeren Stau, rief Gianni an, nannte ihm seine ungefähre Ankunftszeit, und kurz vor neunzehn Uhr erreichte er bereits Montebenichi.
Es war beinah ein feierlicher Moment. Hier gab es jetzt für ihn ein winziges Stück Zuhause und einen neuen Freund.
Gianni. Sicher ist er jetzt unendlich glücklich, dass ich bald bei ihm bin, dachte Matthias. Nur noch eine gute Stunde, dann hatte auch seine Sehnsucht ein Ende.
Als er die Dorfstraße hinauf zur Osteria fuhr, wirkte der Ort wie leer gefegt. Niemand lief zu den Mülltonnen am Ortsende, keiner sah aus dem Fenster, noch nicht einmal eine Katze kreuzte seinen Weg.
Auch die Fenster der Osteria waren dunkel, an der Tür hing ein Schild: Wegen Ruhetag geschlossen.
Matthias fuhr weiter bis auf die Piazza. Auch hier das gleiche Bild, alles wirkte wie ausgestorben.
Was ist hier los?, dachte Matthias und sah auf die Uhr. Es war fast dunkel, vielleicht waren alle in ihren Häusern und machten Abendbrot oder sahen die Abendnachrichten, aber er hörte auch keine Stimmen, nicht das Dröhnen eines Fernsehers oder weit entfernte Musik aus einem Radio.
Auf der Piazza standen nur zwei Wagen. Einer, den er nicht kannte, und Giannis kleiner roter Fiat. Matthias’ Herz machte einen Sprung. Er war also da und wartete in der Wohnung auf ihn.
Matthias stieg aus, öffnete das große Garagentor zu seinen unteren Magazinräumen und fuhr ins Haus hinein. Dann schloss er das Tor und ging durch den engen, kurzen Flur die Steintreppe hinauf bis zu seiner Wohnung und klopfte.
Gianni öffnete und lächelte.
Er erschien ihm schöner denn je.
Matthias hatte nicht damit gerechnet, dass ihn das Wiedersehen derart überwältigen würde. Noch nicht einmal eine Begrüßung fiel ihm ein, jedes Wort erschien ihm in diesem Moment zu banal. Daher umarmte er ihn stumm, hielt ihn etwas länger fest als gewöhnlich und küsste ihn auf beide Wangen.
»Ciao, Gianni«, sagte er schließlich und sah ihm in die Augen. »Danke, dass du da bist«, und: »Wie schön, dass du auf mich gewartet hast.«
»Ach.« Gianni machte die für Italiener typische Handbewegung, als würde er etwas hinter sich werfen. »Ich habe nicht gewartet lange. Vielleicht Viertelstunde. Massimo. – Hast du gehabt buon viaggio?«
»Wunderbar. Keine Staus, keine Störungen, keine Probleme. Ich hab nur knapp dreizehn Stunden gebraucht, das ist, wenn man allein fährt, beinah schon der Rekord.«
»Komm!«, sagte Gianni. »Ich habe sorpresa, Überraschung für dich.«
Matthias ging durch den kleinen Vorraum, wo Gianni eine antike Garderobe angebracht hatte, die ihm schon sehr gut gefiel, direkt hinein in die große Wohnküche und war regelrecht erschlagen. Vor den beiden Fenstern, die zum Castelletto hinausgingen, hingen schwere Brokatvorhänge, üppig drapiert mit goldenen Ornamenten.
Matthias hatte Gianni geschildert, dass er solche Vorhänge suche, dass so etwas sein Traum sei, er aber nichts gefunden habe, was seinen Vorstellungen auch nur nahekomme. Und jetzt hingen sie dort. Schöner, als er es sich je ausgemalt hatte.
Vor dem Küchentresen und den zarten Marmorsäulen, die die Verbindung von Tresen und Decke herstellten, stand der gewaltige, derbe Holztisch, der in der Wohnung gewesen war, passende Stühle waren geliefert worden. Darauf ein fünfarmiger Leuchter, den Gianni besorgt haben musste und der den einzigartigen Tisch überhaupt erst richtig zur Geltung brachte.
Die Kerzen brannten.
Der Tisch war mit einem dicken, typisch toskanischen Keramikgeschirr gedeckt, jedes Teil in anderem
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