Nachtprinzessin
heiß, seine Augen brannten und traten aus ihren Höhlen.
Die Prinzessin zog den Schal wieder fester zu. Schlucken war nun nicht mehr möglich.
Gianni betete.
Und er wusste in diesem Moment, dass er seine Eltern liebte. Mehr als alles auf der Welt.
Aber seine Zeit war um, er konnte es ihnen nicht mehr sagen.
Er musste sterben, weil ein sadistischer Vergewaltiger die Schlinge um seinen Hals zuzog. Immer und immer wieder. Und immer wieder lockerte, bis er es irgendwann nicht mehr tun würde.
Wie aus der Ferne registrierte er den Orgasmus seines Peinigers, der Schal schnürte sich fester und fester in seine Haut, er bekam keine Luft mehr, der Wahnsinnige kannte kein Erbarmen, es war vorbei.
Ich bin doch noch so jung, dachte er verzweifelt, bitte lass mich leben, lass ein Wunder geschehen.
Sein Kopf schien zu platzen, seine Lunge schrie nach Luft, aber er konnte nicht Atem holen, der andere lag auf ihm, und immer noch nahm der Druck auf seinen Hals unerbittlich zu.
Gianni konnte nicht mehr. Sein Körper war ein einziges Meer aus Schmerz.
Als Letztes sah er Lichtblitze hinter seiner Stirn, dann fiel er in ein unendlich tiefes Dunkel. Um ihn herum war alles schwarz, er spürte nichts mehr.
In dieser Sekunde klingelte Matthias’ Handy.
Es lag auf seinen Sachen, die er einfach neben dem Bett fallen gelassen hatte.
Auf dem Display stand der Name des Anrufers: Alexander.
Noch nie hatte Alexander ihn angerufen. Niemals. Immer war Matthias es gewesen, der sich bei seinem Sohn erkundigt hatte, wie es ihm ging.
Matthias glitt der Schal aus der Hand, er schob sich vom schweißnassen Körper Giannis weg, der sich nicht mehr regte, und nahm das Gespräch an.
»Ja?«, hauchte er und wischte ganz in Gedanken über seinen spermafeuchten, klebrigen Bauch.
»Papa?«, sagte eine dünne Stimme am anderen Ende.
»Ja. Was ist, Alex?«
»Papa, bitte komm schnell und hilf mir! Sie haben mich verhaftet. Ich stehe unter Mordverdacht!«
Matthias hörte nur noch ein Schluchzen, dann war die Verbindung unterbrochen.
Sicher waren es nur Sekunden, aber sie kamen Matthias vor wie Minuten, in denen er bewegungsunfähig neben Gianni kniete. In seinem Kopf drehte sich alles.
Er musste Alex helfen. Das war alles, was er wusste.
Gianni bewegte sich nicht, lag da wie tot. So hatte er sich das nicht vorgestellt.
Matthias lockerte den Seidenschal um Giannis Hals und fühlte seinen Puls. Aber er spürte nichts. Rein gar nichts.
Schade. Es war viel zu schnell gegangen. So hätte es nicht passieren sollen.
Matthias stand auf, lief ins Bad, wusch sich notdürftig, zog sich an und überlegte einen Moment. Er hatte keine Zeit mehr, die Leiche zu entsorgen, in die Berge zu bringen, zu verscharren oder zu verstecken. Dazu musste er erst einen passenden Platz suchen, und das war nicht einfach, wenn man die Gegend nicht kannte.
Gianni würde jetzt erst einmal dort bleiben müssen, wo er war.
In wenigen Tagen wäre er sicher zurück.
Matthias ging in den Flur, schaltete die Klimaanlage ein und stellte sie auf die kälteste Stufe.
Der alte Apparat begann krachend zu rütteln und zu arbeiten, und Matthias bemerkte bereits nach wenigen Sekunden den eisigen Luftzug, den die Klimaanlage verbreitete. Das würde reichen, die Leiche die wenigen Tage frisch zu halten, bis er sich um sie kümmern konnte.
Dann griff er seine nach der Fahrt noch nicht ausgepackte Reisetasche, verließ die Wohnung und schloss sorgfältig ab.
Ciao, Gianni, e scusami, amore.
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Berlin, Dienstag, 6. Oktober 2009
Kurt Bredow war ein Mann, den so leicht nichts mehr erschüttern konnte. In seiner über vierzigjährigen Berufslaufbahn hatte er so ziemlich alles gesehen, was selbst einem abgebrühten Kriminalkommissar den Schlaf rauben konnte – umso mehr wunderte es ihn, dass er von diesem Mord schockiert war. Bis ins Mark getroffen.
Montag um drei Uhr früh weckte Frau Ollech ihren Sohn Sven sanft, aber bestimmt. Sie verließ das Zimmer erst, als er sich aufsetzte, um aufzustehen. Sven war siebzehn, Auszubildender im Rautmann’s. Zurzeit war er im angeschlossenen Hotel beim Frühdienst für das Hotelfrühstück eingeteilt.
Er nahm seine Ausbildung sehr ernst, war überpünktlich, hilfsbereit und flink und träumte davon, eines Tages Fernsehkoch zu werden.
Noch wohnte er zu Hause, und seine Mutter ließ es sich nicht nehmen, jeden Morgen mitten in der Nacht aufzustehen, um ihn zu wecken, Tee zu kochen und ihm zwei Toasts mit Marmelade hinzustellen. Sie tat ihm
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