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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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den Gefallen gern, denn sie wusste, dass sie nicht mehr lange die Gelegenheit dazu haben würde. Spätestens wenn er seine Lehre beendet hatte, würde er ausziehen.
    Sven war ein ruhiger, sensibler Junge, und seine Mutter war über die Berufswahl ihres Sohnes sehr unglücklich. Sie bezweifelte, dass er für die Schwerstarbeit als Koch überhaupt geeignet war, und befürchtete, dass er eines Tages daran zerbrechen würde.
    Auch an diesem Morgen verließ Sven um halb vier die Wohnung seiner Eltern und fuhr fünfzehn Minuten mit dem Fahrrad bis zur Großküche. Er war wie immer eine Viertelstunde zu früh und wie fast jeden Tag der Erste der Frühschicht.
    Sven zog sich um und wollte gerade Käse, Aufschnitt und Obst aus dem Kühlraum holen, als er hörte, dass der Konvektomat in der Restaurantküche des Rautmann’s, die im Nachbarraum der Hotelküche angeschlossen war, unaufhörlich schnarrte. Dieses Geräusch setzte immer dann ein, wenn der Garprozess des Fleisches, das im Konvektor geschmort wurde, erreicht war. Das Schnarren hörte erst dann auf, wenn der Konvektor per Hand abgeschaltet wurde.
    Sven ging davon aus, dass die Restaurantköche den Konvektomaten vergessen hatten, da die Küche des Rautmann’s erst ab vierzehn Uhr wieder in Betrieb war, und ging hinein, um das Gerät auszuschalten und das gegarte Fleisch herauszuholen.
    Auf das, was er sah, als er vor dem überdimensionalen Ofen stand, war er in keiner Weise vorbereitet. Es ließ ihn einen Moment erstarren, und dann schrie er in höchster Not. Das Entsetzen saß ihm derart im Nacken, dass er sich nicht mehr bewegen konnte, sondern zusammensackte und auf die Knie fiel.
    Küchenchef Majewski stand im Konvektor, die Arme durch die Gitter gesteckt und festgebunden. Er war vollkommen nackt und bei einer Kerntemperatur von sechsundfünfzig Grad und neunzig Grad Umluft seit drei Stunden rosa gebraten. Seine Haltung war gekrümmt, da sich seine Sehnen beim Garprozess zusammengezogen hatten, sein ganzer Körper war wabbelig und schwammig geworden, Fett und Wasser waren aus ihm ausgetreten. Seine Augen waren weiß wie bei gekochtem Fisch, und in seinem Hintern steckte ein circa zwanzig Zentimeter langer Temperaturfühler.
    Mit seinen toten, fischigen Augen starrte der Küchenchef den Azubi geradezu vorwurfsvoll an.
    Sven Ollech kippte um und wurde bewusstlos.
    Nur wenige Minuten später kamen die Kollegen, die Küche wurde sofort geschlossen und die Polizei alarmiert.
    Kommissar Bredow traf um Viertel vor fünf am Tatort ein. Sven Ollech war mit der Feuerwehr wegen schweren Schocks ins Krankenhaus transportiert worden, und auch die Spurensicherung war schon vor Ort, hatte den Konvektor abgeschaltet, aber die Haltung der Leiche noch nicht verändert. Das hatte sich Bredow ausdrücklich ausbedungen und war froh, dass seine Anweisung auch befolgt worden war.
    Als er vor dem riesigen Ofen stand und den rosa gebratenen Koch betrachtete, wusste er, dass sich dieses Bild auf ewig in sein Gedächtnis einbrennen würde. Es war das Scheußlichste, was er jemals gesehen hatte.
    Und er hoffte, die Obduktion würde ergeben, dass Majewski erst nach seinem Tod und nicht noch bei lebendigem Leib in den Apparat geschoben worden war.
    Jetzt saß Bredow, fast neunundzwanzig Stunden später, dem Hauptverdächtigen Alexander von Steinfeld gegenüber.
    Der junge Mann zitterte am ganzen Leib.
    »Sie sind Alexander von Steinfeld?«
    Das Ja war kaum zu hören.
    »Sie arbeiten im Rautmann’s?«
    »Ja.«
    »Seit wann?«
    »Seit ungefähr einem Monat.«
    »Arbeiten Sie gern da?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Niemand arbeitet gern da. Und wer das behauptet, lügt.«
    »Warum?«
    »Es ist die Hölle.«
    »Warum arbeiten Sie dann dort und nicht woanders?«
    »Weil es überall die Hölle ist. Es gibt nichts Besseres.«
    Bredow murmelte etwas, was wie ein Aha klang, und atmete tief durch.
    »Sie sind fünfundzwanzig?«
    »Ja.«
    »Ledig? Keine Kinder?«
    »So ist es.«
    »Sie lieben Ihren Beruf?«
    »Schon. Aber man kann ihn nirgends so ausüben, dass er Spaß macht.«
    Bredow schnaufte. Er wusste nicht so recht, was er davon halten sollte.
    »Woran liegt das?«
    »Überall hat man mindestens eine Sechzigstundenwoche, überall werden die Überstunden nicht bezahlt, überall arbeitet man wie ein Idiot, überall wird man behandelt wie ein Arsch, überall geht es nur ums Schicken und nicht ums Kochen, überall werden die Gäste beschissen, so macht das einfach alles keinen Spaß.«
    »Warum

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