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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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konnte, wurde ihm klar, dass er einem erneuten Angriff von Leylas Vater jetzt vollkommen schutzlos ausgeliefert war.

12
    12
    Viola lag äußerst bequem auf ihrem Schreibtischstuhl, die Füße in den gefährlich hohen Sandalen auf dem Tisch, daneben ein Prosecco-Piccolo, und feilte sich die Fingernägel. Sie kippte vor Schreck fast vom Stuhl, als Matthias bereits um kurz vor elf das Büro betrat.
    »Was ist denn mit dir los?«, stotterte sie, schwang die Beine zurück auf den Boden, nahm das gefüllte Sektglas in die Hand und versuchte es schnell verschwinden zu lassen, was ihr aber nicht gelang und auch nicht nötig war, denn Matthias hatte es längst bemerkt.
    »Wieso bist du schon wach, ich meine, wieso bist du schon da, ist was passiert?«, fragte sie vorsichtig.
    »Was wird denn hier gefeiert?« Matthias dachte nicht daran, Violas Frage zu beantworten, und spürte, dass er schlechte Laune bekam. »Hast du Geburtstag?«
    »Nein!« Viola lachte künstlich. »Aber zu niedrigen Blutdruck. Der Sekt ist Medizin für mich, Chef!« Sie wippte mit dem Fuß und strahlte ihn an.
    Aber auch darauf reagierte Matthias nicht. Nicht heute, nicht nach all dem, was geschehen war. Normalerweise kam er mit Viola glänzend klar. Sie war schön und naiv, tat, was man ihr sagte, und schien mit ihrem Job rundum zufrieden. Wenn er bei einer Veranstaltung eine Tischdame brauchte, nahm er sie mit. Bei diesen Gelegenheiten hielt sie sich im Hintergrund, lächelte unermüdlich und redete nicht dazwischen. Sie war absolut loyal, betrank sich nicht und konnte tanzen. Das alles wusste er zu schätzen. Zwar konnte man mit Viola keine tiefschürfenden Gespräche führen, aber er fühlte sich in ihrer Gegenwart nie unwohl oder gehemmt.
    Insofern wollte er das Piccolöchen jetzt nicht zum Problem werden lassen, denn ihm war bewusst, dass er am liebsten seine schlechte Laune an ihr ausgelassen hätte. Also hielt er sich zurück.
    »Was gibt’s Neues, Viola?«
    »Nichts. Aber vergiss den neuen Termin mit Hersfeld nicht. Um fünfzehn Uhr. Ich hab dir noch zwei weitere Projekte rausgesucht, die eventuell infrage kämen. Hier – guck sie dir mal an.« Sie schob ihm einige Exposés über den Tisch.
    Matthias nickte. »Danke.« Er nahm die Papiere und ging in sein Büro.
    Alex’ Situation lastete schwer auf seiner Seele. Als er vor einer halben Stunde zusammen mit Thilda ziemlich verloren und verunsichert auf der Straße vor dem Loft stand, hätte er mit ihr gern noch einen Kaffee getrunken, um mehr über Alex zu erfahren, denn offensichtlich hatte sie mehr Kontakt zu ihm als er, aber sie lehnte ab.
    »Du lieber Himmel, Matthias, wo denkst du hin?« Sie hatte ihn fassungslos angestarrt, als ob er sie gebeten hätte, mit ihm zum Mond zu fliegen oder nackt über den Ku’damm zu tanzen. »Es ist jetzt halb elf, und ich muss ins Geschäft! Wenn wir erst einmal zusammensitzen, werden ja doch zwei Stunden draus. Nein, bei aller Liebe, ein andermal gern, aber jetzt nicht. Ruf mich an, wenn du Lust hast, dann gehen wir zusammen essen.«
    Matthias nickte stumm und wusste nicht, wohin mit sich, als sie in ihren Wagen gestiegen und mit Vollgas davongebraust war.
    Also fuhr er ins Büro und nahm sich vor, in den nächsten Tagen mit Alex zu reden. So ging das alles nicht weiter.
    Viola brachte ihm eine Tasse Kaffee ins Zimmer. Sie lächelte und registrierte, dass er sich die Exposés noch gar nicht angesehen hatte, er war mit seinen Gedanken ganz woanders. Sie ließ ihn in Ruhe, sprach ihn nicht an und ging leise hinaus. Wahrscheinlich war er doch noch nicht ganz wach.
    Matthias wippte mit der Lehne seines Schreibtischstuhls und versuchte sich daran zu erinnern, ob er Thilda wirklich jemals geliebt hatte, oder hatte er es sich nur eingebildet? Er war in die Situation hineingerutscht wie in ein Sommergewitter, das man nicht vorhersehen konnte. Und der Gewittersturm brachte alles durcheinander, was er sich bis dahin von seinem Leben erträumt hatte. Ob es wirklich Liebe gewesen war, vermochte er nicht zu sagen. Liebe war nicht leicht zu erkennen. Ein vages Gefühl, das einem niemand erklären konnte.

13
    13
    Ende Juni 1984
    »Bitte, Matthias«, sagte seine Mutter, als er vor mittlerweile fünfundzwanzig Jahren an einem kühlen Junimorgen zum Mittagessen im Esszimmer erschien, »könntest du mir einen großen Gefallen tun?«
    Der Ton, in dem Henriette dies sagte, machte Matthias sofort klar, dass es keine Frage, sondern ein Befehl war. Wenn er ihrer Bitte nicht

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