Nachtprinzessin
den Friedrich ihm zum Abschied mit auf den Weg gegeben hatte. »Jungchen«, hatte er gesagt. »Eins darfst du nie vergessen: Das Wichtigste sind deine Schuhe. Sie zeigen deinen Charakter, deinen gesellschaftlichen Stand, deine Vermögensverhältnisse und deinen Geschmack. Und von heute an möchte ich dich nie mehr auf Linoleum quietschen, sondern auf Marmorböden klackern hören!«
Als er das KaDeWe verließ, hatte er viertausendzweihundert Mark ausgegeben, hatte von seinem ersten selbst verdienten Geld noch dreihundert Mark übrig und war äußerst zufrieden mit sich. Im Grunde war er sogar richtig glücklich, und als er quer über den Wittenbergplatz zu seinem Auto ging, lief er schneller als gewöhnlich.
Er wusste, dass es klüger gewesen wäre. Aber er hatte keine Lust, seine Schätze zu verstecken.
Und so vergingen keine zwei Tage, bis Thilda Anzug, Schuhe und vor allem den Füllfederhalter entdeckte. Die Bons aus dem KaDeWe lagen passend dazu noch auf dem Schreibtisch.
Matthias kannte Thilda in letzter Zeit nur als pralle, leidende und bewegungsunfähige Schwangere oder als keifende Furie.
An diesem Abend war sie anders.
Matthias saß an seinem Schreibtisch, blätterte im Hochglanzprospekt eines Golfclubs und studierte die Aufnahmebedingungen, als sie still ins Zimmer kam und sich neben ihn stellte.
»Bist du eigentlich völlig übergeschnappt?«, flüsterte sie. »Bist du wahnsinnig geworden oder nicht ganz bei Trost?«
»Lass es. Es bringt nichts, wenn wir darüber reden«, meinte Matthias, ohne von seiner Lektüre aufzusehen, denn er wusste ganz genau, worauf sie hinauswollte.
»Halt den Mund!«, fauchte sie leise, und Matthias konnte nichts dagegen tun, dass sich ihm die Härchen auf den Unterarmen aufstellten. »Wir haben kein Geld. Alles, was wir an Lebensmitteln brauchen oder an Kleinigkeiten für den täglichen Bedarf, müssen wir uns bei deiner Mutter erbetteln. Das weißt du. Wir haben oft genug über unsere beschissene Situation geredet. Gut, ich habe nicht geglaubt, dass du wirklich was verdient hast. Aber dass du es sofort für so einen unnützen Scheiß auf den Kopf haust …« Jetzt wurde sie lauter. »Damit hab ich nicht gerechnet.«
Sie trat vor ihn, stützte sich auf den Schreibtisch und sah ihn an. Er konnte ihrem Blick nicht ausweichen und sah, dass ihr Tränen über die Wangen liefen, die sie aber gar nicht zu bemerken schien.
»Wir haben nichts zu fressen, leben von Maggisuppen, und du kaufst dir einen Füller für zweitausendzweihundert Mark? Ja, spinnst du denn? Und einen Anzug? Wo willst du den denn anziehen? Zum Einkaufen auf dem Markt? Und Schuhe für vierhundert Mark? Dafür kriege ich acht Paar!«
»Ja, du. Ich nicht.« Das war alles, was er sagte.
Sie starrte ihn an, als wäre er von einem anderen Stern.
»Wie viel Geld hast du noch übrig?«
»Nichts«, log er.
»Du hast wahrhaftig alles ausgegeben?«
»Ja. Alles.«
»Weißt du, was du bist, Matthias von Steinfeld? Ein aufgeblasenes, wichtigtuerisches, größenwahnsinniges Angeberschwein. Dumm, oberflächlich und herzlos. Aber so arrogant, dass dir eigentlich der Schädel platzen müsste.« Sie griff in ihrer Wut in die Schachtel mit den Visitenkarten und warf eine Handvoll gegen die Wand.
Matthias erstarrte vor Schreck.
Dann ging Thilda zur Tür. »Und ich war wahrhaftig mal in dich verliebt.«
Als sie weg war, stürzte Matthias auf die Knie, krabbelte auf allen vieren durchs Zimmer und sammelte seine kostbaren Visitenkarten wieder ein. Jede einzelne untersuchte er genauestens, ob sie nicht zerknickt war und auch wirklich kein Haar daran klebte. Er begann zu schwitzen. Nur die wertvollen Karten machten ihm Sorge. Dass Thilda ihn hatte beleidigen wollen, war ihm egal, denn das hatte sie nicht geschafft. Im Gegenteil. Er fand sich eigentlich ganz gut charakterisiert und hatte sich offensichtlich schon verändert. In die richtige Richtung, und sie hatte es bemerkt.
Als er das letzte Kärtchen aufgehoben hatte, stand er auf und sortierte die Visitenkarten zurück in den Karton.
Das, was Thilda über ihn gesagt hatte, war der Matthias von Steinfeld, der es allen zeigen und der Geld und Erfolg haben würde. Brave Hausmütterchen wie Thilda blieben da unweigerlich auf der Strecke. Sie verschwanden irgendwann vollkommen unbemerkt wie ein Wattwanderer im dichten Nebel, indem sie eines Tages einfach ihre Sachen packten und gingen.
Matthias war davon überzeugt, dass dieser Tag nicht mehr in allzu weiter Ferne
Weitere Kostenlose Bücher