Nachtprinzessin
dritten Stock.
Fast automatisch und zielsicher wie ein Schlafwandler steuerte er in der Schreibwarenabteilung zu dem Bereich, wo es Füllfederhalter zu kaufen gab. In allen Farben, allen Formen, Größen und Preislagen. Die meisten in Vitrinen ausgestellt, in edlen Kästen, auf Seidenkissen oder in samtenen Betten.
Der Verkäufer war perfekt frisiert, hatte eine aalglatte, weiche Babyhaut, machte einen sehr distinguierten Eindruck und lächelte freundlich.
»Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte er leise und sprach damit Matthias direkt an, der versonnen vor einer Vitrine stand.
»Ja, das können Sie.« Matthias straffte die Schultern und trat an den Verkaufstresen.
»Ich suche einen Füllfederhalter. Es sollte ein ganz besonderer Füllfederhalter sein. Nicht ausgefallen – verstehen Sie, ich will nichts Buntes, Eckiges oder Kariertes –, sondern außergewöhnlich. Ein Füller, den die Welt noch nicht gesehen hat und der durch seine Einmaligkeit auffällt. Ich will einen, den kein anderer hat. Ein Einzelstück. Er muss eine Sensation sein, sonst kaufe ich ihn nicht. Also zeigen Sie mir einfach das Beste, was Sie haben.«
»An welche Preisklasse dachten Sie denn?«, fragte der Verkäufer.
»Es kommt darauf an«, erwiderte Matthias ausweichend. »Sagen wir mal so: Der Preis muss gerechtfertigt sein. Und es muss auf den ersten Blick für jedermann sichtbar sein, dass dieser Füllfederhalter sein Geld wert ist.«
Der Verkäufer zog einen Schlüsselbund aus seiner Jacketttasche, fand auf Anhieb den richtigen Schlüssel und öffnete eine Schublade unterhalb einer Vitrine. Dort zog er einen ungefähr vierzig mal dreißig Zentimeter großen Kasten hervor, der außerdem zehn Zentimeter hoch und sehr schwer war . Schon allein das Design des Kastens war auffallend. Er hatte die Form von zwei aufeinandergesetzten dickbauchigen Bilderrahmen, der obere zeigte die grobfaserige Struktur eines Schiffstaus.
Eine Schatztruhe für einen einzelnen Füllfederhalter, dachte Matthias, das ist fantastisch.
Beinah feierlich und mit spitzen, vorsichtigen Fingern klappte der Verkäufer die wertvolle Truhe auf. Zum Vorschein kam ein edler Füllfederhalter, schwarz mit kunstvoll verzierten silbernen Einfassungen, dem eingravierten silbernen Namen Amerigo Vespucci und einer hölzernen Verschlussklappe. Die Feder war aus echtem Gold. Gebettet war er auf beigefarbenem Samt, zusammen mit einem kleinen Tintenfass.
»Ich erkläre Ihnen gleich, was es damit auf sich hat«, meinte der Verkäufer, »aber nehmen Sie ihn doch erst einmal in die Hand.«
Er wog schwer. Schwerer, als Matthias gedacht hatte, und er berührte ihn so zart wie die Wange einer Geliebten. Und er hatte das Gefühl, dass eine ungeheure Kraft von ihm ausging. Er war wie das Zepter zur Macht. Mit ihm würde er Verträge unterschreiben, die sein Leben änderten, die aus ihm endlich den machten, der er sein wollte. Mit ihm würde er Worte zu Papier bringen, die ihresgleichen suchten, Genialität begann mit diesem ersten Accessoire.
»Sie wundern sich vielleicht über das Holz, aus der die Verschlusskappe gearbeitet ist«, begann der Verkäufer leise, um die Wirkung seiner Worte noch zu verstärken. »Es handelt sich um echtes Holz vom Oberdeck der Vespucci , mit der der große Navigator Amerigo Vespucci auf Reisen ging. Wie Sie bestimmt wissen, war er der wahre Entdecker Amerikas und gab dem Kontinent seinen Namen. 1509 sank die Vespucci in einem fürchterlichen Sturm im Golf von Genua, als sich Vespucci auf dem Rückweg in seine Heimatstadt Florenz befand. Das Wrack wurde zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gehoben. Nur wenige Füllfederhalter wurden aus dem kostbaren Plankendeck gefertigt, jeder ist anders, jeder ist ein Unikat. Sie haben sozusagen immer ein Stück des berühmtesten Segelschiffes der Welt in der Hand.«
Matthias war schwer beeindruckt. Der Füller gefiel ihm ausgesprochen gut, und die Geschichte rührte und faszinierte ihn gleichermaßen. Genau so etwas hatte er sich erträumt.
»Ich nehme ihn«, sagte er und spürte in diesem Moment so etwas wie eine beginnende Leidenschaft. Dieser Füllfederhalter würde ihn begleiten. Sein Leben lang. Bei allem, was er tat.
Ein Stockwerk höher kaufte er noch einen anthrazitfarbenen Anzug mit passender Weste und Krawatte und zu guter Letzt im Erdgeschoss ein Paar italienische Halbschuhe aus Kalbsleder, die – wie er fand – wunderbar zu dem neuen Füllfederhalter passten.
Denn er erinnerte sich an den Satz,
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