Nachtprinzessin
ersten Blick. Dr. Hersfeld ging langsam von Zimmer zu Zimmer, aber Matthias konnte seinem Dauergrinsen nicht entnehmen, ob er die hochwertige Ausstattung mit sehr viel Sinn und Liebe zum Detail überhaupt bemerkte. Ob er die Türen mit den im Jugendstil gehaltenen Glasverzierungen, die edlen Stuckdecken, die alten, originalen Türgriffe und Messingscharniere, den hochwertigen Marmor in der Küche oder den Redlake-Fußboden im Wannenbadezimmer überhaupt zu würdigen wusste. Genauso wäre er wahrscheinlich auch durch eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung im Wedding spaziert.
Er sagte unentwegt: »Schön, schön«, und nahm Matthias’ Erklärungen lediglich nickend zur Kenntnis. Offensichtlich war er ein absoluter Bauchmensch, der sich nur von seinem Gefühl leiten lassen wollte.
Frau Hersfeld stöckelte ihrem Mann von Raum zu Raum hinterher, und ihre Schuhe klapperten auf dem wunderschönen neu verlegten Eichenparkett, dass es Matthias in den Ohren wehtat und er insgeheim hoffte, dass nicht jeder Schritt eine kleine Delle im Fußboden hinterließ.
»Welches Baujahr ist die Wohnung?«, fragte Hersfeld.
»Neunzehnhundertsieben.«
»Und wann wurde sie saniert?«
»Vor zwei Jahren. Komplett, und wie Sie sehen, absolut hochwertig.«
Hersfeld nickte abermals. Matthias folgte den beiden leise. Wollte bei der Besichtigung nicht stören. Herr und Frau Hersfeld unterhielten sich leise, und ab und zu hörte Matthias ein paar Brocken, wenn Frau Hersfeld »Ja, warum nicht?« oder »Wenn du meinst« sagte.
»Wo ist der Kamin?« war die erste Frage, die Frau Hersfeld an ihn richtete.
»Im Terrassenzimmer, bitte kommen Sie.«
Matthias ging voran, und die beiden folgten.
»Wunderbar! Elmar, dieser Kamin ist ein Traum! Findest du nicht?«
»Sicher.« Er sah sich um, als überlegte er, wo er seine Werkbank aufbauen könnte.
»Auf der Terrasse haben Sie ab Mittag Sonne, und mit zweiundvierzig Quadratmetern ist sie groß genug, um im Sommer sogar kleine Festivitäten draußen zu veranstalten.«
Dr. Hersfeld nickte, als hätte er gar nicht richtig zugehört. Daher wandte sich Matthias jetzt an seine Gattin.
»Wie viele Kinder haben Sie, Frau Dr. Hersfeld?«
»Zwei. Einen Jungen und ein Mädchen.«
»Oh, wie schön. Und wie alt sind sie, wenn ich fragen darf?«
»Der Junge ist gerade achtzehn geworden, und das Mädchen ist sechzehn.«
»Ah ja. Na, ich denke, in dieser Wohnung haben Sie alle vier genug Platz, und bei drei Bädern gibt es morgens auch keinen Stau.«
Deinen Sohn würde ich mir gern mal für eine Nacht ausborgen, dachte Matthias, ich bevorzuge Söhne von unerzogenen Vätern, die ihren Frauen nicht aus dem Wagen helfen, nicht die Tür aufhalten und ihre Meinung ganz offensichtlich ignorieren. Unwillkürlich musste er lächeln, und auch Frau Hersfeld lächelte.
»Tja«, meinte Dr. Hersfeld vergnügt und stemmte die Fäuste in die Hüften, als stünde er auf dem Rummel und überlegte, ob er lieber Geister- oder Achterbahn fahren solle. »Ich für meinen Teil habe genug gesehen. Und du, Iris?«
»Ich auch. Meinetwegen können wir gehen.«
Nun gut. Keine Jubelschreie also, obwohl die Immobilie sie verdient hätte, aber wenigstens hier und da ein anerkennendes Wort über die riesigen, licht- und sonnendurchfluteten Räume oder den herrlichen Blick sowohl über die Stadt als auch über den See.
Doch einen Trumpf hatte er noch im Ärmel, wahrscheinlich eines der schönsten Objekte, die er während seiner gesamten Maklertätigkeit im Angebot gehabt hatte. Er war irgendwie verunsichert, denn Dr. Hersfeld war entweder ein Immobilien-Tourist, oder er schwamm wirklich im Geld, und die sieben Prozent Maklerprovision bei einem Drei-Millionen-Projekt waren schließlich nicht zu verachten.
»Also gut«, meinte er lächelnd. »Fahren wir auf die Insel, und ich zeige Ihnen etwas ganz anderes. Etwas wirklich Außergewöhnliches!«
Dichte Wolken schoben sich vor die Sonne, und während der Fahrt zum Wannsee fing es an leicht zu regnen. Das darf nicht wahr sein, dachte Matthias, gerade für diese Villa, die auf einem herrlichen Seegrundstück direkt am Wasser lag, brauchte er sonniges Wetter. Heute war eben nicht sein Tag.
Der Jaguar folgte. Matthias hätte ein Vermögen gegeben, um jetzt belauschen zu können, worüber sich die beiden im Auto unterhielten. Dieser Kunde war so verdammt schwer einzuschätzen, und kleine Männer verunsicherten ihn immer etwas. Entweder waren sie dominant und brutal oder aber gemütliche
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