Nachtprinzessin
hinter den Hügeln und tauchte das Land in orangefarbenes Licht. Auch kitschig, dachte er, aber die Realität. Das faszinierte ihn, und er konnte gar nicht aufhören, das Bild anzustarren.
Ja, dachte er, ja, ich werde verreisen. Er würde endlich wieder nach Italien fahren, in die Toskana, die er so sehr liebte, die für ihn fast eine zweite Heimat geworden war. Dort fühlte er sich im Grunde mehr zu Hause als in dem kalten, spröden Deutschland, wo der Wein herb, die Landschaften blass und die jungen Männer nur selten leidenschaftlich waren. Er sehnte sich nach Wärme, Musik und der Schönheit eines David von Michelangelo.
Solange seine Mutter noch in der Reha war, war sie unter Kontrolle, und er konnte unbesorgt wegfahren. Wenn sie erst mal zu Hause war und eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung brauchte, wurde es schwierig.
Sein Handy klingelte. Matthias empfand es fast als Befreiung. Er stand auf, entfernte sich ein paar Schritte von seiner Mutter und meldete sich.
»Von Steinfeld?«
»Grüß Sie, hier ist Hersfeld.«
»Oh, Dr. Hersfeld. Schön, Sie zu hören.«
»Wir kaufen das Haus.«
Matthias schnappte nach Luft und wagte nichts zu sagen.
»Daher möchten wir Sie zum Essen einladen, um alle Modalitäten zu besprechen. Wann passt es Ihnen?«
»Jederzeit.«
»Gut. Sagen wir heute Abend, zwanzig Uhr im Klosterhof?«
»Sehr gern.«
»Also gut, dann bis heute Abend.« Dr. Hersfeld legte auf.
Das war Wahnsinn. Matthias hätte am liebsten gejubelt und geschrien und seine Mutter aus dem Rollstuhl gezogen, um mit ihr durchs Zimmer zu tanzen. Drei Komma eins Millionen, davon gingen gut zweihunderttausend an ihn. Die Immobilienfirma gehörte ihm allein. Seine beiden Angestellten bekamen keine Gewinnbeteiligung, sondern ein Gehalt, das Matthias als fürstlich empfand. Sie konnten sich nicht beklagen. Zweihunderttausend auf einen Streich! Grund genug, um vollkommen durchzudrehen.
»Mama, ich habe gerade ein sensationelles Geschäft gemacht. Wünsch dir was, ich bringe dich überall hin. Ans Meer, in die Berge, wohin du willst. Ich kaufe dir auch, was du willst. Einen elektrischen Rollstuhl, den du auf Knopfdruck bewegen kannst. Was hältst du davon?«
Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn sie wenigstens jetzt reagiert hätte, aber sie tat es nicht.
Das Schlimme ist, dass sie sich noch nicht mal mit Zyankali umbringen könnte, wenn sie es wollte, dachte Matthias. Sie ist gezwungen, so zu vegetieren.
Er hatte Lust, sie zu töten. Aus Liebe. Aber nicht hier, nicht in dieser hochbewachten medizinischen Anstalt.
Ohne sich von ihr zu verabschieden, drehte er sich zur Tür und ging aus dem Zimmer.
Es schien eine Bilderbuchfamilie zu sein, die ihm da gegenübersaß. Ein äußerst umgänglicher Vater, eine wie immer ruhige, aber anscheinend zufriedene Mutter, ein achtzehnjähriger Sohn mit vorzüglichen Umgangsformen, der die Pubertät offensichtlich schadlos überstanden hatte, und eine aufgeweckte, kiebige sechzehnjährige Tochter, die bei ihrem Vater einen Freifahrtschein hatte und sich alles erlauben durfte.
Bereits beim Aperitif kam Dr. Hersfeld zur Sache. »Tja, wie ich Ihnen am Telefon schon sagte, die Villa am See gefällt uns ausgesprochen gut, und wir beabsichtigen, sie zu kaufen.«
»Bastian und ich haben sie ja noch gar nicht gesehen«, warf Amalia ein. »Vielleicht gefällt sie uns gar nicht, denn schließlich müssen wir ja auch drin wohnen.«
Kleine, vorlaute Kröte, dachte Matthias, halt deinen Mund, und mach die Sache nicht noch kompliziert.
»Das Haus gefällt euch, da bin ich mir ganz sicher«, meinte Amalias Mutter Iris. »Wer wohnt schon mitten in Berlin auf einer Insel mit einem wundervollen Blick über den Wannsee. Ganz sicher niemand von euren Freunden.«
»Und wenn wir abends aus der Disco kommen, schwimmen wir auf die Insel, oder wie?« Amalia war auf Krawall gebürstet.
»Es führt eine Straße auf die Insel.«
»Dann ist es also gar keine Insel.«
Iris seufzte. »Streng genommen nicht, nein. Aber das ist doch wirklich sehr praktisch.«
»Was meinst du, Bastian?«
»Ich seh das leidenschaftslos. Schließlich wohne ich nicht mehr lange da. Nach dem Abi bin ich weg. Also – macht, was ihr wollt.«
Der Kellner kam und nahm die Bestellung auf.
Anschließend wandte sich Dr. Hersfeld wieder an Matthias. »Zwei Dinge müssten noch geklärt werden. Ich zahle zwei Komma neun Millionen und keinen Euro mehr. Ihnen zahle ich eine Provision von hunderttausend. Genug meines Erachtens für
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