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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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wenn er seinen Sohn so vor sich sitzen sah. Auf der rechten Wange und unter dem Auge war die Haut noch leicht bläulich rot verfärbt, was einem aber nur auffiel, wenn man genau hinsah oder von dem Vorfall wusste.
    »Schmeckt’s dir?«, fragte Matthias vorsichtig.
    Alex legte das Besteck weg. »Scheiße, ich denke an Oma. Warum hast du bloß damit angefangen?«
    »Ich wär dir dankbar, wenn du ab und zu hingehst. Weil ich morgen nämlich verreise.«
    »Na, dann amüsier dich schön!«, meinte Alex bissig. »Offensichtlich ist es dir wurscht, was mit Oma passiert.«
    »Ganz und gar nicht. Aber solange sie in der Rehaklinik ist, ist sie gut aufgehoben. Ich weiß nicht, was wird, wenn sie wieder nach Hause kommt. Vielleicht kann ich dann gar nicht mehr weg.«
    »Es ist alles so zum Kotzen.« Alex verschlang jetzt seine Vorspeise mit wenigen Bissen. Matthias war sich sicher, dass er gar nicht mitbekam, was er da aß.
    Dafür trank er den Wein, von dem die Flasche zweiundfünfzig Euro kostete, noch hastiger. Matthias konnte nichts dagegen tun, dass Carlo Alex’ Glas nicht aus den Augen ließ und sofort nachschenkte.
    Er bestellte eine neue Flasche.
    »Wo fährst du hin?«, fragte Alex. Es war selten, dass er sich überhaupt dafür interessierte, was sein Vater tat, und Matthias konnte sich nicht daran erinnern, dass er ihn überhaupt jemals gefragt hatte, wie es ihm ging, daher empfand er diese banale Frage, die Alex sicher nur gestellt hatte, um überhaupt etwas zu sagen und die Konversation aufrechtzuerhalten, als richtig wohltuend.
    »Nach Italien. Wie immer.«
    »Und wohin genau?«
    »Nach Siena. Oder ans Meer. Ich weiß noch nicht genau.«
    »Wie lange bleibst du weg?«
    »Zwei Wochen. Vielleicht auch ein bisschen länger. Das hängt von Oma ab. Weißt du, ich spiele mit dem Gedanken, mir irgendwo in der Toskana ’ne kleine Wohnung zu kaufen. Was hältst du davon?«
    Alex zuckte die Achseln. »Mach doch, wenn du zu viel Kohle hast.«
    Carlo kam an den Tisch und öffnete die zweite Flasche Wein. Matthias kostete und nickte. Carlo schenkte ein und versuchte unbeteiligt auszusehen, aber natürlich bekam er jedes Wort mit, das gesprochen wurde.
    »Ich meine nur, würde dich die Wohnung auch interessieren? Würdest du da auch hinfahren und Urlaub machen?«
    »Kommt drauf an.«
    »Worauf?«
    »Wie die Wohnung ist. Und wo sie liegt. Wenn sie irgendwo in der Pampa ist, dann kannst du das Ganze vergessen.«
    »Also würde dich eher eine Stadt interessieren?«
    »Nicht unbedingt. Nicht so ’ne große Stadt. So ’n Mittelding.«
    Na toll. Das war ja eine klare Aussage.
    Alex überlegte einen Moment und begegnete dem aufmerksamen Blick seines Vaters. Schnell sah er wieder weg.
    »Nein, ich glaube, wenn ich ehrlich bin …« Er zögerte und fixierte die Tischdecke. »Wenn ich ganz ehrlich bin, dann würde mich so ’ne Wohnung gar nicht interessieren. Ich würde da wahrscheinlich auch keinen Urlaub machen.«
    Um die Diskussion zu beenden, stand Alex auf und ging auf die Straße, um eine Zigarette zu rauchen.
    Zuerst sah Matthias ihn noch, wie er – gestützt auf seine Krücken – vor der großen Fensterfront des Restaurants stand und hastig inhalierte. Dann war er abgelenkt, weil Carlo kam und sagte, eine komplette Dorade habe er leider nicht mehr, aber ein Filet, ob ihm das auch recht sei … Matthias nickte. Es war ihm egal. Danach stand er auf und ging auf die Toilette. Als er wiederkam, war Alex nicht mehr da.
    Ohne Appetit aß er mechanisch zu Ende und signalisierte Carlo, dass er selbstverständlich alles bezahlen werde, auch die Gänge, die Alex bestellt, aber nicht gegessen habe, aber Carlo winkte nur ab. Kein Problem. Wir alle wissen, wie das mit den Kindern ist. Vor allem, wenn sie älter werden.
    Es war diese unglaubliche Leere in seinem Leben, die ihm plötzlich bewusst wurde. Sie kam so schnell und plötzlich wie die Todesangst nach dem Einbruch ins Eis eines winterlichen Tümpels. Irgendwo im Innern seiner Seele liebte Alex ihn, davon war Matthias überzeugt, aber Alex durfte dieses Gefühl nicht zulassen und es ihm nicht zeigen, dazu verachtete er seinen Vater zu sehr. Er ekelte sich vor ihm. Wie oft hatte er als Kind Schwulenwitze aus der Schule mit nach Hause gebracht, beim Mittagessen erzählt, und sie hatten herzhaft darüber gelacht. Und jetzt war all das, worüber sie sich immer amüsiert hatten, plötzlich ganz nahe Realität. »Wohin fliegt der schwule Adler als Erstes?« – »Zu seinem

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