Nachtprinzessin
als er schließlich mit seinem Porsche in den Frachtraum fuhr, wo er von einem italienischen Arbeiter brüllend eingewiesen wurde. »Weiter rechts, noch weiter rechts, viel weiter rechts und noch weiter vor, natürlich, dort ist noch ein halber Meter Platz, mindestens, komm, komm, komm, ein bisschen schneller, wenn’s geht, andre wollen auch noch aufs Schiff!« Mit einer schwungvollen Handbewegung klappte er Matthias’ Rückspiegel ein, dass es krachte. »Noch ein Stück weiter, ja, jetzt passt es. Stopp. Motor aus, Gang drin lassen, Handbremse anziehen. Fertig.«
An der Fahrerseite stand der Wagen jetzt zwei Zentimeter vom Stahl der Schiffswand entfernt.
»Na so was«, meinte Matthias. »Das ist aber ein kühler Recke, finden Sie nicht? Stapelt hier die Autos auf den Zentimeter genau. Und haben Sie gesehen, wie er meinen Rückspiegel eingeklappt hat? Ich muss sagen, ich bin beeindruckt.«
»Beeilen Sie sich und steigen Sie aus!« Kai war mittlerweile durch Matthias’ Verhalten mehr als genervt. »Die Nächsten stellen sich jetzt direkt daneben. Und wenn Sie hier noch lange Reden halten, müssen Sie während der ganzen Überfahrt im Auto sitzen bleiben.«
Eine entsetzliche Vorstellung! Fähren gingen häufig und gern unter, besonders wenn sie überladen waren, und diese war bestimmt überladen, so wie der tapfere Recke sie vollstopfte. Er würde im Frachtraum jämmerlich ersaufen.
So schnell es ging, kletterte er über den Beifahrersitz aus dem Wagen und folgte Kai an Deck.
Sie setzten sich steuerbord in die erste Reihe, und Matthias spürte eine leichte Übelkeit. Dabei fiel ihm ein, dass er heute bisher weder etwas gegessen noch einen Kaffee getrunken hatte.
Keiner von beiden sagte ein Wort, bis die Fähre abgelegt hatte, Porto Santo Stefano verließ und aufs offene Meer hinausfuhr.
»Ich habe einen Freund auf Giglio«, begann Kai zehn Minuten später, obwohl Matthias sein Gesicht mit geschlossenen Augen in die Sonne hielt und seine Unterlippe leicht zitterte.
Kai hatte ihn eine ganze Weile beobachtet und war sich nicht sicher, ob er schlief oder ob der Wind, der an Deck ziemlich stramm wehte, seine Lippe in Schwingung brachte.
»Hören Sie mich, Matthias?« Matthias grunzte leise, daher fuhr Kai fort: »Und dieser Freund besitzt eine Wohnung direkt am Hafen. Ein Kleinod. Wirklich eine echte Kostbarkeit. Nicht mit Geld zu bezahlen. Ich weiß, dass er diese Wohnung niemals verkaufen würde, dazu liebt er sie viel zu sehr, und man findet so schnell nichts Vergleichbares – aber ab und zu vermietet er sie. Nur an Freunde und sehr gute Bekannte, versteht sich. Also nur auf Empfehlung. Ich weiß, dass die Wohnung im Moment frei ist, und heute Nachmittag ist er auf der Insel. Ich kenne ihn sehr gut, und vielleicht haben wir Glück, und er hat gute Laune. Die Wohnung wird Ihnen gefallen.«
»Das hört sich traumhaft an«, murmelte Matthias, ohne die Augen zu öffnen, was Kai als unhöflich empfand.
»Das hört sich nicht nur so an, das ist traumhaft!« Kais kühler Tonfall war Matthias nicht aufgefallen, und er lächelte mit immer noch geschlossenen Augen in die Sonne.
Auch Kai sagte nichts mehr, sondern stand auf und ging vor an die Reling. Über den Charakter seiner Klienten durfte man sich keine Gedanken machen. Das nervte und war verschwendete Zeit.
Das Meer war ruhig, nirgends zeigte sich eine Schaumkrone, aber weite Wellen schoben sich wie flache, platt gedrückte Hügel übers Wasser.
Die riesige Fähre spürte davon nichts.
In einiger Entfernung dümpelte ein Segelboot, und Kai fragte sich, ob der graue Punkt am Horizont bereits die Insel Giglio war.
Eine Kulisse wie auf einem Werbeprospekt für die schönsten Häfen im Mittelmeer. Schmale und verschiedenfarbige ein- bis zweistöckige Häuser, kleine Läden, zahlreiche Fischrestaurants und Bars direkt am Wasser. Winzige Ruder- und Fischerboote am Ufer, an der Mole alte und verschrammte Seelenverkäufer, aber auch teure Jachten der Superreichen.
In diesen winzigen Hafen, der sich den Charme längst vergangener Zeiten bewahrt hatte, schob sich die riesige Fähre.
Direkt hinter dem Hafen erhoben sich die bewaldeten Hügel Giglios und der kleine Ort Porto Giglio mit maleri schen Häusern an den Berghängen. Das Wasser in der Bucht glitzerte grell im Sonnenlicht.
Matthias fuhr von der Fähre und bugsierte seinen Wagen dann nach Kais Anweisungen durch eine schmale, enge Gassenpassage, in der man noch nicht einmal Schritttempo fahren konnte, da
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