Nachtprinzessin
schätzte, unentwegt weiter. Er machte nicht die geringsten Anstalten, damit aufzuhören, aber im Restaurant schien es niemanden zu stören.
Matthias spürte, wie er immer wütender, immer aggressiver wurde. Seine Bauchdecke begann zu zittern, er hatte sich kaum noch in der Gewalt, hatte Lust hinauszugehen, ihn vom Motorroller zu reißen und ins Gesicht zu treten.
Lächelnd brachte Adriano die Vorspeise. Es war schon kein Lächeln mehr, eher ein breites Grinsen. Matthias wusste, dass er immer mehr verkrampfte, die Knattermaschine da draußen machte alles kaputt.
Und dann war plötzlich Ruhe, und der Ragazzo betrat das Lokal. Adriano begrüßte ihn überschwänglich freundlich und setzte sich sofort zu ihm. Er stand noch einmal kurz auf, brachte Matthias Crostini, und dann durchblätterten die beiden die Gazetta dello Sport. Dabei legte Adriano dem Jungen einen Arm um die Schultern.
Matthias gab es einen Stich.
Auch wenn Adriano Matthias oder andere Gäste bediente, er ging zwischendurch immer wieder kurz zu seinem Freund zurück, und den Chef schien es nicht zu stören, solange die übrigen Gäste nicht vernachlässigt wurden.
Aber Matthias fühlte sich vernachlässigt. Die Anwesenheit des Jungen und die offensichtliche Aufmerksamkeit, die Adriano ihm schenkte, stressten ihn jetzt mehr als zuvor das unerträgliche Knattern. Der Abend schien verdorben, und er überlegte angestrengt, was er tun konnte, um seine Laune zu retten.
»Wie heißen Sie?«, fragte Matthias, als Adriano das gegrillte Filetsteak brachte.
»Adriano«, antwortete er.
»Ich finde Sie sehr sympathisch«, sagte er mutig. »Außerdem erinnern Sie mich an jemanden, ich weiß aber im Moment nicht, an wen. Haben Sie Zeit, sich nachher ein wenig zu mir zu setzen?«
Adriano schien zu überlegen und sah sich um. »Ich weiß nicht, heute ist ’ne Menge los …«
Matthias ließ nicht locker. »Nun, wie soll ich es sagen? Ich studiere Italienisch, aber ich habe einfach zu wenig Übung. Könnten Sie mir vielleicht behilflich sein? Sie haben so eine wohlklingende Stimme und so eine gute Aussprache … Ich könnte viel von Ihnen lernen.«
Adriano zuckte die Achseln. »Sicher. Vielleicht.« Er war innerlich aufgewühlter, als man es ihm ansah. Ein offensichtlich reicher Deutscher wollte etwas von ihm. Dienste. Welcher Art auch immer. Wenn er es geschickt anstellte, war da ’ne Menge rauszuholen.
»Ich meine, zeigen Sie mir etwas von Ihrer wunderschönen Insel!«, fuhr Matthias fort. »Lassen Sie mich teilhaben an den Geheimnissen Ihrer Heimat. Ich glaube, es gibt keine bessere Art, diese wundervolle Sprache zu erlernen.«
Adriano lächelte und schien zu überlegen.
»Wann haben Sie denn Ihren freien Tag?«, fragte Matthias.
»Morgen«, sagte Adriano leise, und dieses Wort klang für Matthias wie das Zwitschern eines Vogels. »Morgen ist hier Ruhetag.«
»Hätten Sie nicht Lust, mit mir den Tag zu verbringen und mir die Insel zu zeigen?«
Adriano spielte gekonnt den Schüchternen und fixierte das Tischtuch.
»Ja, warum nicht? Das mach ich gern.«
Matthias durchfuhr ein warmer, wohliger Schauer.
»Großartig. Wo und wann treffen wir uns?«
»Um elf hier vor dem Restaurant. Ist Ihnen das recht?«
»Ich freue mich.«
»Ich mich auch.« Adriano warf Matthias einen tiefen Blick zu.
Matthias versuchte, diesen Blick zu interpretieren, aber er schaffte es nicht. Noch hatte er keine Ahnung, was Adriano von ihm dachte.
Schließlich ließ Adriano ihn allein, und Matthias aß das leicht blutige Fleisch beinahe kalt.
Dass Adriano anschließend mit dem Vespa-Ragazzo tuschelte und die beiden kicherten, registrierte er nicht. Oder er wollte es einfach nicht sehen. Was interessierte ihn auch so ein Jüngelchen? Er wagte gar nicht, daran zu denken, was morgen alles geschehen konnte.
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Berlin, Juli 2009
Die Soko »Prinzessin« traf sich pünktlich um zehn im Besprechungsraum 2 des Kommissariats. Susanne Knauer hatte die Leitung der Zwölf-Personen-Truppe übernommen. Sie wirkte blass und dünnhäutig, als sie mit knappen Worten ihre Kollegen begrüßte. Seit sie die Leiche von Manfred Steesen am Ufer des Sees gefunden hatten, spielten im Kommissariat alle verrückt. Es war die unterschwellige Nervosität, es eventuell mit einem Serientäter zu tun zu haben, die alle erfasst hatte.
»Liebe Kollegen«, begann Susanne Knauer. »Lassen Sie mich kurz zusammenfassen, was wir wissen. Bisher wurden zwei junge Männer ermordet aufgefunden. Jochen Umlauf,
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