Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
Vom Netzwerk:
Nachbarn Walt Winters. Wie ich ging Walt in die sechste Klasse. Anders als ich war er gesellig und sportlich, was bedeutete, dass wir im Grunde ab solut nichts gemeinsam hatten. »Warum hat er ausgerechnet mich eingeladen?«, fragte ich meine Mutter. »Ich kenn ihn doch überhaupt nicht.«
    Sie sagte mir nicht, dass Walts Mutter ihren Sohn zu der Einladung genötigt hatte, aber ich wusste, dass dies die einzig vernünftige Erklärung war. »Ach, geh nur«, sagte sie. »Es wird bestimmt lustig.«
    Ich unternahm alles, mich vor der Einladung zu drücken, doch dann be kam mein Vater Wind von der Sache, und es gab kein Zurück mehr. Er sah Walt oft beim Footballspiel auf der Straße und betrachtete ihn als eine jün gere Ausgabe seiner selbst. »Er ist nicht unbedingt der beste Spieler der Welt, aber er und seine Freunde sind eine tolle Truppe.« »Na prima«, sagte ich. »Dann kannst du ja mit ihnen übernachten.« Ich konnte meinem Vater nicht sagen, dass ich Angst vor Jungen hatte, deshalb ließ ich mir für jeden Einzelnen Gründe einfallen, warum ich ihn nicht mochte. Der Hintergedanke war, eher wählerisch statt eingeschüchtert zu erscheinen, aber zuletzt klang ich wie eine Zimperliese.
    »Du willst doch nicht, dass ich die Nacht mit jemandem verbringe, der flucht? Der mit Steinen nach Katzen wirft?« »Genau das will ich«, sagte mein Vater. »Und jetzt scher dich rüber.« Außer mir waren noch drei andere Jungen zu Walts Pyjamaparty eingeladen. Keiner von ihnen war besonders beliebt – dazu sahen sie nicht gut genug aus –, aber jeder konnte auf dem Spielfeld oder bei einer Diskussion über Autos mithalten. Es ging damit los, sobald ich das Haus betreten hatte, und während ich so tat, als würde ich zuhören, wünschte ich insgeheim, ich könnte ehrlicher sein. »Was ist denn an Football so toll?«, wollte ich fra gen. »Hat ein V-8-Motor irgendwas mit dem Vitaminsaft zu tun?« Ich hätte wie ein Austauschschüler geklungen, aber die Antworten hätten mich mit einer Art ersten Grundlage versorgt. So verstand ich von dem, was sie sagten, nur Bahnhof.
    In unserer Straße gab es vier verschiedene Typen von Häusern, und auch wenn Walts anders war als meins, war ich mit der Aufteilung der Räume wohl vertraut. Die Pyjamaparty fand in einem Raum statt, der bei den Methodisten Gemeinschaftszimmer hieß, von den Katholiken als zusätzliches Kinderzimmer benutzt wurde und von den einzigen Juden in unserer Nach barschaft gleichzeitig als Dunkelkammer und Schutzraum genutzt wurde. Walts Familie waren Methodisten, und der zentrale Gegenstand im Raum war ein riesiger Schwarzweißfernseher. An den Wänden hingen Familienfotos und dazwischen Bilder von Sportlern, die Mr. Winters erfolgreich wegen eines Autogramms belästigt hatte. Ich bewunderte sie, so gut ich eben konnte, obwohl ich das Hochzeitsfoto über dem Sofa viel interessanter fand. Arm in Arm mit ihrem Gatten in Uniform, sah Walts Mutter wahnsinnig, beinahe beängstigend glücklich aus. Die hervorstehenden Au gen und das wilde, klebrige Grinsen grenzten an Hysterie, und in all den Ehejahren hatte sich daran nichts geändert.
    »Auf was ist die wohl?«, flüsterte meine Mutter, wenn wir auf der Straße an Mrs. Winters vorbeigingen und sie uns freudig aus ihrem Vorgarten zuwinkte. Mir kam es immer so vor, als wäre das zu hart ihr gegenüber, aber nach zehn Minuten im Haus der Winters wusste ich ganz genau, was meine Mutter meinte.
    »Die Pizza ist da!!!«, trällerte Walts Mutter durchs Haus, als der Bote an der Tür klingelte. »He, Jungs, wie wär’s mit einer höllisch scharfen Piz za!!!« Ich fand es lustig, dass jemand den Ausdruck höllisch scharf benutz te, wenn auch nicht so lustig, dass ich darüber hätte lachen können. Genauso wenig wie über Mr. Winters billige Imitation eines italienischen Kellners: »Mamma mia Wer möchten noch eine leckere Stück Pizza?«
    Nach meiner Vorstellung sollten sich Eltern auf einer Pyjamaparty eher rarmachen, aber Walts Eltern mischten die ganze Zeit mit, schlugen Spiele vor und reichten Snacks und Getränke. Als es um Mitternacht Zeit für den Horrorfilm war, schlich Walts Mutter ins Badezimmer und deponierte ein mit Ketchup beschmiertes Messer neben dem Waschbecken. Eine Stunde später hatte immer noch niemand das Messer entdeckt, und sie begann kleine Hinweise auszustreuen »Muss sich denn keiner von euch mal die Hände waschen?«, fragte sie. »Kann, wer gerade am nächsten zur Tür ist, mal nachschauen, ob

Weitere Kostenlose Bücher